piwik no script img

■ StandbildHuppedihupp in Eimer

„Der heiße Stuhl“, Montag, 22.15 Uhr, RTL

Umfragen unter deutschen JournalistInnen zeigen, daß sich deren Selbstverständnis gewandelt hat: Eine neue Generation, die ihre Ausbildung in Journalistik-Studiengängen oder beim Verkauf von Modeschmuck auf dem Ku'damm genossen hat, will nicht mehr die Gesellschaft verändern, sondern eine Dienstleistung erbringen. Der Informationsservice ist an die Stelle pädagogischer Motive getreten. Das heißt aber keineswegs, daß die Schweinchen-Schlau-Phrasen, die wir aus vielen „Tagesthemen“-Kommentaren kennen, damit erledigt wären.

Im Gegenteil: Die altmodischen Tugenden halten jetzt Einzug ins Kommerzfernsehen. In einer dunklen Neumondnacht schickte sich auch Olaf Kracht, der Mr. Zeigefinger von RTL („Ich zähle auf Sie“!), an, die journalistische Berufung neu zu erfinden. Indem er den „Heißen Stuhl“ nach viermonatiger Pause erneut unter Strom setzt, will Kracht „die Bürger... wachrütteln“. Zur Beantwortung der – zumal im Superwahljahr – brandheißen Frage: „Was ist schlimmer“, CDU oder SPD, holte er sich Renate Schmidt, sozialdemokratische Spitzenkandidatin in Bayern, sowie vier ChristdemokratInnen aus der dritten Reihe ins Studio.

Das Hauptthema: Steuergerechtigkeit. Frau Schmidt, gut präpariert, verschaffte sich mit populistischen Appellen johlenden Applaus. Einigen Beifall ernteten auch die Hinweise der Gegenseite auf die Steuerpläne der SPD. Doch im ganzen ging es viel um nackte Gesetze und Zahlen.

So viel Nüchternheit war Moderator Olaf Kracht denn doch zuviel. Nicht nur, daß die Regie zur Auflockerung immer mal wieder neckische Fotos von Frau Schmidt samt redaktionellem Kommentar einblendete: die Kandidatin mit Kuh und Kindern, mal im Mini mit Strumpfbändern („Etikett: sinnenfroh und saftig“). Sobald Kracht der Ansicht ist, da redet jemand zuviel, fährt er wie eh und je mit seinen simplen Sentenzen dazwischen: „Immer wieder wird diskutiert, getan wird nichts.“ Um der Sache den richtigen Drive zu geben, raunzt er denn auch mal eine Politikerin verblos an: „Sie Vorsitzende“ und resümiert ebenso: „Sachen, die nicht gut ankommen, werden huppedihupp in Eimer.“

Genau, das wäre doch die Lösung für den „Heißen Stuhl“. Und damit zurück zu den „Tagesthemen“. Achim Baum

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen