■ Standbild: Ritter der mutigen Fernsehgestalt
„Scheibenwischer“, Donnerstag, 22.03 Uhr, ARD
Als ich Hildebrandt das erste Mal sah, saß er hinter einem Moderationstisch und zog gerade mit ernstem Blick einen halben Stein aus der Schublade. Der sollte, so habe die Nasa verkündet, vom Mond stammen, sei aber in Wirklichkeit ein Findling aus der Eifel. Dort nämlich habe Moderator Hildebrandt die andere, frappierend paßgenaue Hälfte des Mondgesteins selbst gefunden. Entsetzt fragte ich meinen Vater, ob man uns mit der spektakulären Mondlandung seinerzeit wirklich beschissen habe. „Keineswegs“, meinte mein allwissender Vater. Die „Notizen aus der Provinz“ sähen nur aus wie ein richtiges Nachrichtenmagazin. Dabei mache Hildebrandt nicht Politik, sondern Kabarett. Ich war damals sieben und fürs erste beruhigt.
Kurze Zeit später wurden die „Notizen“ allerdings wegen leichtgläubiger Menschen wie mir aus dem Programm genommen. Die Magazinform mit dem vor der Kamera sitzenden Moderator könne im Wahljahr 1980 ahnungslose Menschen glauben machen, bei dem links- (und damit regierungs-)freundlichen Satireprogramm handele es sich um reale Politberichterstattung, sollen die ZDF-Programmmacher argumentiert haben. Letztlich war aber wohl die Sendung vor allem dem Kanzlerkandidaten Strauß ein Dorn im Auge, und so mußte Hildebrandt zum SFB wechseln, um dort den „Scheibenwischer“ im Stehen – dafür aber live zu moderieren.
Am Donnerstag stand er nun zum 75. Mal vor der Kamera, und wie in den letzten vierzehn Jahren wehrt er sich standhaft dagegen, telegenes Fernsehen zu machen: Minutenlang redet der Mann ohne Punkt und Komma. Die Kamera immer starr auf seinem Gesicht, haspelt und paspelt er sich durch die deutsche Politikszene: Presserecht im Saarland, Bullentrauma in Magdeburg. Während er unablässig die Finger befingert, purzeln die Pointen wie zufällig aus seinem nuschelnden Mund.
Diese Verweigerungsästhetik macht den „Scheibenwischer“ zu einem bewahrenswerten Medienereignis. Denn diese dreißig Sendeminuten erfordern ernstlich Konzentration und sogar eine gewisse Ahnung, was in der Welt los ist. Wann stellt das Fernsehen noch so hohe Ansprüche?
Weil er es nicht lassen kann, hat Hildebrandt seinen Jubiläumsscheibenwischer eben jenen Bayern gewidmet, die ihn einst vom ZDF-Bildschirm vertrieben. Mit ihnen beschäftigt sich der Wahlmünchner immer noch am liebsten – auch wenn Edmund Stoiber allenfalls „die siebte Strophe von Franz Josef Strauß“ ist. Trotzdem gibt es ja immer genug zu zwicken und zu tandlern. Und hatte nicht Hildebrandt seinen größten Erfolg mit der Sendung über den „Rhein-Main-Donau- Kanal“, die die CSU zum Schäumen brachte? Hat ihn nicht einst der BR zum Ritter der mutigen Fernsehgestalt geschlagen, indem man sich aus seinem Programm ausblendete? Diese Ehe nuschelt und poltert hoffentlich noch lange. Nur: Laßt ihn doch endlich wieder sitzen. Der Mann ist doch auch nicht mehr der Jüngste. klab
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