Standbild: ...geht uns alle an
■ "Böses Blut"
„Böses Blut“, Sonntag, 22.40 Uhr, West 3
Syphilis, so die sonst selten fehlgehende Redakteuse, das sei doch ein Thema, das uns Jungs gewiß unbändig interessiere. Pfff. Möge Catweazle, Schutzpatron der Fernsehsozialisierten, ihr dereinst ermöglichen, mal für fünf Minuten von unsereinem Besitz zu ergreifen. Die Dame würde sich wundern über Nöte und Begehrlichkeiten des Durchschnittsmännchens. Bar jeder Betroffenheit, unbeteiligt, also meilenweit darüberstehend, vermag der Herr Kritiker in Augenschein zu nehmen, was Christina von Braun über besagtes Kavaliersdelikt und seiner „Mythen und Wirkungsgeschichte“, so der aufs Suhrkamp-Publikum schielende Untertitel, herausgefunden hat.
Am Anfang war die Seuche, nach Europa hereingetragen von den wackeren Amerika-Entdeckern, die in unerhörter Manier über eingeborene Frauen hergefallen waren. Montezuma rächte sich bitter, flugs war das damals fidel kopulierende Europa – ein aktives Geschlechtsleben galt in jenen Tagen als Voraussetzung fürs allgemeine Wohlbefinden und wurde gar von der Kanzel herab wärmstens anbefohlen – von der Krankheit befallen.
Schuldige mußten gefunden werden, Juden und Araber kamen in Betracht, da sie kurz vor dem historisch belegbaren Ausbruch der Epidemie aus Spanien verjagt und somit heimatlos geworden waren. Hauptsächlich aber blieb es an den Frauen hängen, Beginn einer Jahrhunderte währenden Misogynie, die in den Hexenverbrennungen kulminierte, indes in ihrer ganzen Irrationalität bis zum heutigen Tage wirksam ist. Die Anfang des 20. Jahrhunderts in Werken wie „Salome“ und „Lulu“ manifestierte romantische Variante des Frauenhasses – unweigerlich fällt der Mann, pardauz, einem zerstörerischen Eros zum Opfer – dürfte auch in aktuellen Erzeugnissen der Populärkultur ohne weiteres nachzuweisen sein. Vom fatalerweise wieder virulent gewordenen Irrwitz der Rassenideologen, die von der „Syphilisation der Zivilisation“ (Hitler in „Mein Kampf“) phantasierten und jüdische Bürger als „Fremdkörper im Organismus ihres Gastvolkes“ beschimpften, ganz zu schweigen.
So sind die Metaphern der Lustseuche bis in die Gegenwart verbreitet und haben überdies durch Aids neue Gültigkeit erlangt. Und da erscheint es einem dann plötzlich, als ginge das Thema tatsächlich nicht nur uns Jungs an... Harald Keller
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen