■ Standbild: Göttliches Rauschen
„River Cafe“, Sonntag, 21.55 Uhr, Pro 7
Die Kopien kennen wir nun schon zur Genüge. Erst machte Gottschalk auf Ami, dann äffte Koschwitz David Letterman nach. Mittlerweile rennen uns die Kiesbauers, Beckmanns und Willemsens mit ihren Talk- Adaptionen die Mattscheiben ein. Allesamt berauscht von einer einzigen Hoffnung: irgendwo auf der Welle der Quassel-Inflation obenauf zu schwimmen.
Pro 7 wollte es nun beim Kopieren besonders gründlich machen. „River Cafe“ tut nicht nur so, als käme es aus Amerika, es kommt tatsächlich live aus New York. Doch mal abgesehen davon, daß sich im Hintergrund statt einer Fototapete die Wasser des Eastriver glaubhaft zu erkennen geben, ist alles, wie man's schon kennt: Hausband, Einspielfilmchen, Outdoor-Gimmicks, mitten drin ein Moderator: Hubertus Meyer-Burckhardt, der Ex-Sowieso-Mann.
Schlecht vorbereitet lümmelte er auf dem Sofa, schwitzte wie ein Schwein im sengenden Scheinwerferlicht und las unbeholfen seine wenig inspirierten Fragen ab („Wie war Ihre Kindheit?“). Trotzdem konnte er sich im großen und ganzen als recht angenehmer Zeitgenosse darstellen. Verglichen mit den anderen TV-Hasardeuren läßt HMB eine geradezu sympathisch zu nennende Unbeholfenheit durchschimmern. Wo Willemsen mit süffisanter Intellektual-Gebärde den Feingeistigen markiert und Beckmann mit zynischer Schnoddrigkeit seine Gäste verschaukelt, da lächelt HMB einfach nur verlegen in die falsche Kamera. In Zeiten einer allgemeinen Abgebrühtheit im TV- Geschäft muß derartiges schon als menschlich feiner Zug gelten.
Doch das Beste kommt erst noch: Um 22.39 Uhr unserer Zeit – in N.Y. versank Manhattan gerade in grauem Nebel – geschah das Wunderbare: die Mattscheibe begann zu flackern, graue Schleier senkten sich über die Szene, dann kam nur noch Schnee. Die göttliche Fernsehaufsicht hatte eine Bildstörung geschickt. Als HMB dann eine Minute später wieder auf dem Schirm erschien, war er schon beim nächsten Thema. Er hatte den Eingriff gar nicht bemerkt. Und doch kam er nicht mehr dagegen an. Gemessen an der spontanen Schönheit dieses fein modulierten transatlantischen Rauschens war alles andere vorhersagbares Talk-Show-Einerlei. „River Cafe“ hat es wieder einmal bewiesen: gerade in den Momenten seines Versagens ist das Fernsehen am besten. mum
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