■ Standbild: Der 300. Tatort
Sonntag, ARD, 20.15 Uhr
Als 1970 Kommissar Trimmel im allerersten Tatort im „Taxi nach Leipzig“ fuhr, ahnte niemand, daß diese Serie Fernsehgeschichte schreiben würde. Die ARD konnte in ihren eigenständigen Redaktionen regional unterschiedliche Charaktere entwickeln, die als Gemeinsamkeit aber die beruhigende Botschaft vermittelten, daß das Böse am Ende doch bestraft wird.
Die Kommissare hielten sich mal kürzer, mal länger, längstens jedoch nach 20 Folgen war die Figur so weit von allen Seiten durchleuchtet, daß sie langweilig wurde. Eines ist dabei gelungen: Es wurden Typen geschaffen. Etwa Kommissar Haferkamp, der immer aussah wie ein sorgenzerfurchter Dackel mit Sodbrennen, oder Schimanski, der das Publikum in zwei Lager teilte: eine gewaltfreie Fraktion, die sonntagabends wieder Zeit zum Doppelkopfspielen hatte, und eine identifikationsbeflissene, die das Stadtbild durch Schimanski-Parkas belebte.
Nun ist die Zeit der Abkehr von der Gewalt. Bei Gewalt im Fernsehen – so WDR-Fernsehspielchef Witte – schalten die Zuschauer ab. Subtile Fernsehkrimis sind jetzt gefragt.
Dem Bayerischen Rundfunk ist es gelungen, beim 300. Tatort ein Element hinzuzufügen, das im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sonst eher aus Versehen passiert: Witz. Regisseur Hanns- Christian Müller nahm als Hintergrund für seinen Krimi die bayerische Volksmusikszene und konnte die ihrer Präsentation immanente Peinlichkeit so zuspitzen, daß es schon wieder schön wurde. Der Star einer Volksmusikshow wird ermordet – wer organisierten Frohsinn haßt, kann die Idee nicht schlecht finden. Dann die Durchführung: Ein erpresserischer Sensationsjournalist begeht einen Totschlag, wird seinerseits erpreßt; das alles umrahmt von Festumzügen, unfreiwillig komischen Playbacknummern und den Toten Hosen als Volksmusikanten. Kaum besser zu machen. Der Tatort ist noch lange nicht tot.
Doch wird das Bild der einheitlichen ARD schon wieder getrübt. Die Konkurrenz kommt aus den eigenen Reihen. Bavaria-Produzent Limmer und Götz George trafen sich neulich und haben beschlossen, Schimanski wiederauferstehen zu lassen. Aber – nicht mehr als Tatort- Kommissar, sondern mit einer eigenen Serie. Anstelle des zu früh verstorbenen Eberhard Feik bekommt Schimanski eine Partnerin: Frau Hörbiger als Staatsanwältin. Roswitha Seidel
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