■ Standbild: Erstbezug / "Lindenstraße"
„Lindenstraße“ – Folge 1 vom 8.12.1985, Mi., 21.30 Uhr, B1
Keine fünf Minuten läuft die „Lindenstraße“, schon fällt das erste Reizwort: „Datenschutz!“ Gerade hat Siggi Kronmeyr seinen Mietvertrag unterschrieben, schon fängt die neugierige Else Kling an, im Führungszeugnis des neuen Mieters zu schnüffeln.
„Lindenstraße“ also, wie wir sie kennen: politisch korrekt, menschlich verständlich, dramaturgisch eher behäbig. Aber die Folge „Herzlich willkommen“, die B1 vorgestern im Vorgriff auf das runde Jubiläum ausstrahlte, ist zehn Jahre alt. Joschi Bennarsch züchtet noch seinen Lindenblütenhonig und Stefan Nosek baggert jedes Damenfahrrad an. Benny Beimer ist gerade im Stimmbruch und Klausi hat die Masern. Das Telefon von Mutter Beimer, das uns noch so manche schlechte Nachricht übermitteln wird, hat noch nicht das moderne Telekom-Design.
Gut kann ich mich noch erinnern, wie wir vor zehn Jahren gespannt vor dem Bildschirm saßen, um uns Geißendörfers neue Endlosserie anzuschauen. Was waren wir enttäuscht über die fade Handlung, die mittelmäßigen Darsteller und die frisch renovierte Kulisse, der man das Studio noch allzu deutlich ansah! Die „Lindenstraße“ präsentierte ihren Erstbezug. Auch heute, mit 478 Folgen im Hinterkopf, kommt das „Willkommen“ eher hölzern daher. Penetrant biedern sich uns die Figuren an: Ich bin Frau Beimer und total kinderlieb; ich heiße Dr. Dressler und bin der Hausarzt; ich höre auf den Namen Nossek und bin der Schwerenöter.
Hartnäckig hält sich die Legende, die „Coronation Street“, britisches Erfolgsvorbild der „Lindenstraße“, habe sich eines Tages einfach ohne viel Aufhebens ins Programm gemogelt. Mit Folge 127 oder 286 oder so. Niemand scherte sich um die Einschaltquoten, die erst langsam, dann aber gewaltig anstiegen. Eine Legende, vielleicht.
Jedenfalls kann sich in England niemand mehr daran erinnern, wie eigentlich alles begann. Und das ist gut so. Denn es liegt doch in der Natur einer Endlosserie, keinen Anfang und keinen Schluß zu haben. Leute kommen, Leute gehen. Mieter ziehen ein und wieder aus. Wie der Zollbeamte Kronmeyr, den es in Folge 48 nach Rosenheim verschlägt. 78 Wochen stand die Wohnung leer, bis schließlich Vasily und Beate dort einzogen. Da waren wir endlich drin, in der „Lindenstraße“. Ich glaube, es war Folge 127 oder 268 oder so. Klaudia Brunst
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