■ Standbild: Im Namen des TV-Volkes / "Live"
„Live“, Do., 22.12 Uhr, ZDF
„Great Dreams, no Scripts“ – mit diesem Slogan startete im Juli 1991 der US-Kabelkanal „Court- TV“. Schon drei Jahre später hatte er mit seinen Mega-Stars wie Jeffrey Dahmer, Lorena Bobbit und O.J. Simpson Kult- und Trendsetter-Status erreicht.
Die Verwalter dieses modernen Circus maximus geben sich erstaunlich staatstragend, sie halten die Live-Marathons tatsächlich für geeignet, sich ein unverfälschtes Urteil zu bilden und sich in den Prozeßpausen von Topjuristen belehren zu lassen. Es sei ja bloß eine einzige kleine Kamera an der Decke, meinte US-Reporter John Sheanan in der Talk-Show „Live“. Er selbst bekam in einem TV-Prozeß seinen Job zurück.
So unbefleckt wie stets behauptet ist die Empfängis der Wahrheit in solchen Schauprozessen allerdings nicht: O.J. bezahlt seiner Verteidigung täglich eine Million Dollar zur Inszenierung seines Big-budget-Dramas ohne Nebendarstellerin: Mordopfer Nicole Brown und das Problem der Gewalt gegen Frauen spielte nie eine Rolle. Der Anklägerin im Simpson-Prozeß schreiben PR-Berater Sprache, Gestus und Kleidung vor, die Verteidigung probt Plädoyers mit Schauspieler-Geschworenen, der Richter verkauft seine Vita inklusive Kinderfotos, und CNN brachte schon die CD- ROM zum Prozeß heraus – mit Soundbites von der Verhaftung und DNA-Analysen.
Ausgerechnet Rolf Bossi, der wie kein anderer sein Honorar durch die Kapitalisierung der Persönlichkeitsrechte seiner Mandanten abpolstert und sich an fast jeden sich anbahnenden Sensationsprozeß à la Gladbeck heranmacht – ausgerechnet er beklagte in der Diskussion über die Zulassung von Kameras „einen Zirkus im Gerichtssaal, den wir als unwürdig erleben“. Reinhard Voss vom Richterbund verwies auf die Wirkung als öffentlicher Pranger, die das Fernsehen haben könne, und Karl-Heinz Kuhlo, der n-tv-Boß, beteuerte daraufhin, es gehe ihm „überhaupt nicht darum, höhere Einschaltquoten zu haben“.
Das soll glauben, wer will. Natürlich würde ein deutsches Court-TV seine Zuschauer finden. Denn die „dramatischste Form unblutiger Auseinandersetzung“ (US-Court-TV-Gründer Steven Brill) verspricht den News-Junkies mehr und ungestreckteren Stoff: schwarze Phantasien einer Gesellschaft, die sich vor allem durch abschreckende Klatschgeschichten in der Balance hält. Dieter Deul
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