■ Standbild: Ein Schuß V.I.P. / "Spiegel-TV, Interview, Vox"
Spiegel-TV Interview, Vox, Freitag, 21.55 Uhr
Ingrid van Bergen gehört zweifellos zu den eloquenteren Figuren unter jenen, die schon mal einen Menschen umgebracht haben. Vor knapp zwei Jahrzehnten, in den siebziger Jahren, streckte sie ihren Lebensgefährten mit einem Schuß nieder. Seitdem umwehen die Schauspielerin sowohl Glamour als auch Crime. Ohne ihre Tat und die darauf folgende öffentliche Verhandlung (via Bild) wäre sie das geblieben, was sie bis zur Tat war: Eine Aktrice mit stark abfallender Bekanntheitskurve. Ende der fünfziger Jahre spielte sie in dem hochgelobten, nazibewältigenden Staudte-Film „Rosen für den Staatsanwalt“ die Rolle einer kühlen Serviererin mit dem Herz auf dem rechten Fleck: Seitdem gehörte sie zum Reigen der ewigen Talente, nicht mehr und nicht weniger. Das Spiegel-TV-Interview hat nur deswegen stattgefunden, weil sie tötete – und folgte damit dem Reflex des Boulevards. Es ließ sie sprechen, über das Altwerden, über Liebe, über die Zeit im Gefängnis und über Geld. Ein insgesamt ruhiges, trotzdem klatschiges TV-Dokument, das davon lebte, daß die Befragte einmal sich am höchsten Gut vergriffen hatte – einem Menschenleben. Das Unterfangen, die Frau aus einer Perspektive zu zeigen, die den Horizont der bunten Blätter hinter sich läßt, wurde gar nicht erst probiert, es wäre sowieso schiefgegangen. Fragen darüber beispielsweise, ob ihr die Öffentlichkeit nach ihrer Tat nicht schützend zur Seite stand wie sie es bei weniger prominenten TäterInnen nie getan hätte, blieben nicht nur offen – sie fehlten ganz. Anders herum: Das mürbe Geplauder über das Leben an und für sich und nach dem Gefängnis, über die Fährnisse des Schicksals spielte darüber hinweg, daß Ingrid van Bergen jede zweite Chance verdient hat – alle anderen Totschläger und Mörder allerdings ebenfalls. Eine Diskussion über TV-Präsenz im Gerichtssaal könnte auch hier ansetzen, denn Bergens Lebensbericht zeigt insgeheim: Ein Rechtsstaat, der die Gerichtssäle zur Showbühne verkommen ließe, wäre keiner mehr. Justitia ganz nach dem Geschmack der Bossis: Alle Richter wären dann nur noch wie Peter Bond – Dompteure am Glücksrad.Arne Fohlin
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