piwik no script img

■ StandbildFernsehen in Scherben

„Tatort: Im Herzen Eiszeit“, Sonntag, ARD, 20.15 Uhr

Selbst der Kommissar war mal dabei, früher im Dunstkreis der Anarcho-Gruppe „Freiheit 81“ und in ihrem Hauptquartier „Eiszeit“. Davon hat er bei seiner Einstellung natürlich nix gesagt, schließlich will er nichts weiter als ein geregeltes Einkommen. Auch die anderen aus dem „Eiszeit“ haben ihre Vergangenheit längst hinter sich gelassen und sind jetzt alle was geworden: Arzt oder Autohausbesitzer, Game-Show-Moderator oder PR-Agentin. Und statt Chili con carne gibt's jetzt Sushi: Aus Anarchisten werden Yuppies.

Nur einer hat den Trend verpaßt, abgesessen im Knast, ganze elf Jahre: Rio Reiser. Für einen Mord, den er nicht begangen hat, und weil er so herzensgut war, niemanden zu verpfeifen von den alten Genossen. Jetzt trifft man sich wieder im Kostümfundus eines TV-Studios, und sie wollen ihm ein Jackett anhängen, damit er endlich seine Lederkutte mit dem Anarcho-A fallen läßt. Doch Rio bleibt gut.

Zwar heißt Rio hier Reinhard, dabei hätte man auf diesen Gag verzichten können, denn der einstige streetfighter kann nicht anders und spielt irgendwie nur sich selbst. Zeigt nur ein Gesicht mit ganz großen Augen und Trotz in den Mundwinkeln, egal, was passiert. So steht er wieder an der „Eiszeit“-Theke, „Ton Steine- Scherben“-Songs im Hintergrund, und auf der Straße zieht ein Schwarzer mit geschultertem Ghettoblaster vorbei. Dazwischen irrlichtert es in Gelb und Blau, ein paar Schüsse fallen und treffen alte Kampfgefährten.

Das plätschert so dahin, ganz ohne Spannung, dafür mit großen Sprüchen, die die Abrechnung mit der linken Geschichte mimen: „Dafür habe ich nun gekämpft“, schluchzt der Showmaster und bricht unter seiner Studio-Dekoration – rosa Glücksschweinchen – zusammen. Oder: „Es gibt so viele Ungerechtigkeiten auf der Welt“, schwätzt die PR-Frau, als Rio noch einmal mit ihr das Haus besetzen will, das sie sich vor zwanzig Jahren schon einmal unter den Nagel gerissen hatten.

Alles halt „Bürgerkinder, die Revolution spielen wollten“, weiß der Kommissar. Nur Rio nicht, immer noch Lichtgestalt und ungebrochen. Zum Schluß steht er da an der Bahnlinie vom Orientexpress und hält eine Knarre in der Hand – natürlich ohne Kugeln. Und ein letztes Mal scheint Licht auf in Gelb und Blau. Besser, der Bildschirm wäre schwarz geblieben. Elmar Kraushaar

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen