Standbild: Grillen und Intellektuelle zirpten
■ betr.: "Extra"
„Extra“, Montag, 22.10 Uhr, RTL; „Die Außerirdischen – der endgültige Beweis“, Dienstag, 20.40 Uhr, arte
Das Corpus delicti hat Riesenaugen, sechs Finger und die Statur einer Wasserleiche. Den schwarzweißen, verwackelten und verschwommenen Film über die Obduktion jenes „Außerirdischen“ kauften Sender in 28 Ländern ein. Der französische Privatkanal TF1 brachte gleich noch eine Videokassette mit dem 15-Minuten-Spektakel in Umlauf, auf der indes jede Garantie für die Authentizität des Materials ausgeschlossen wird.
RTL wählte den entgegengesetzten Weg und gab eine zweite Sezierung in Auftrag. Ein Pathologe und ein Filmtrickexperte nahmen am Montag das nur kurz eingespielte Material auseinander: unüblicher Seziertisch, eine zu unruhige Doku-Kamera, die in den entscheidenden Phasen unscharf wird, und Blut, das nicht unkontrolliert austritt. Filmfreak Giesen zeigte eine Maske aus „Ghostbusters II“, Pathologe Eisenmenger meinte, es könnte sich auch um die Leiche einer chromosomal mißgebildeten Frau handeln. Selbst einem „Ufologen“ kamen Zweifel. Erst hieß es, man habe zehnminütige Filmrollen gefunden – bis man merkte, daß es damals nur dreiminütige gab. Abseits der Faktenhuberei erklärte Horrorfan Giesen: „Mythen sind kulturprägend.“
Und somit eine Pflicht für den Kulturkanal arte. In einer Live- Sondersendung versammelte sich vorgestern eine Männerrunde im rührigen Zwielicht zweier Petroleumlampen vor dem Observatorium zu Meudon. Grillen und Intellektuelle zirpten. Ein obskurer russischer Fernsehfilm wurde eingespielt, wonach der „Roswell“- Fall eigentlich in Sibirien stattfand, aber von einem dissidenten KGB-Professor mit Hilfe des FBI in den USA inszeniert worden sei. Beweis: Eine FBI/MGM- Quittung über „vier Gummikörper“. Doch diese Aliens hatten zwei Finger zuwenig. Sie waren bloß ein artefakt – eine raffinierte Brüskierung für Verschwörungsfans und Doku-Puristen. Wie kürzlich, als das Kölner Wissenschaftsmagazin „Quarks“ (WDR) das Thema Bildermanipulation mit Live-Nachrichten von der abgestürzten Domkuppel medienkritisch garnierte.
Davon ließen die Mannen von Meudon indes wenig ahnen. Sie ergaben sich einem freischwebenden Parlando über die Grenzbereiche der Forschung. Man haute sich den „Ajatollah des Skeptizismus“ und Uri Geller um die Ohren. Merkwürdig: Während RTL streng induktiv an den Fakten dokterte, brachte arte einen ausufernden philosophischen Stammtisch, dem das Petroleumlicht echtes Lagerfeuer-Feeling verlieh. Da kamen dann dem Kritiker Zweifel. Dieter Deul
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