■ Standbild: Zeitlose Zeit
„Todorov – ein Gangsterfilm“, Sonntag, 22.15 Uhr, WDR
Mauer, Wachtturm, Kameras, Freejazz. Ein schmaler Mann in Wolljacke und Jeans verläßt das Türloch. „Gangsterboß Todorov kommt frei“ (Bild). 22 Jahre hatte der Mann Zeit gehabt, um nachzudenken, was er in diesem Moment tun würde. Jetzt bleibt ihm keine Minute. Jetzt muß er Kameras begleiten, Reportern antworten. Kameras entließen ihn 1971 in die U-Haft, Kameras empfangen ihn von dort zurück. Die Freiheit ist ein Fernsehteam.
Die Entlassungsszene, ein Krimi-Mythos. Nur wenige Wege scheinen dem Verbrecher, der freikommt, zu bleiben. Gräbt er irgendwo einen Sack mit Beute aus? Geht er in die nächste Bank? Wird er, besten Resozialisierungswillens, von der Gesellschaft verlassen und von den Kumpels verführt?
Immer wollte Todorov „irgendwo das machen, was wir in den Filmen sahen“. Hier der „von der Erziehung her sanfte“ 20jährige, dort – noch in Schwarzweiß – der Gangster mit Hut und Zigarette. „Im entscheidenden Moment ist das Leben nicht Kino.“ Für diese Erkenntnis hat es Autodiebstähle, Gefängnis, Schußwechsel, Tote und schließlich „lebenslänglich“ gebraucht.
Nun nimmt die Wirklichkeit den umgekehrten Weg: Todorovs Leben wird Fernsehfilm. Todorov will auch ein Buch schreiben, eine Seite ist schon fertig. Über Kriminelle, auch „Drehbücher vielleicht.“ Uli Kick zeigt den „Gangsterboß“ als schüchternen Mann ohne Ziel. Er zeigt Dimitri Todorov in die Bank gehen, nur das Sparbuch gezückt, aber seine Kamera schlachtet die Pointe nicht aus. Er läßt Todorov reden, über die Traumwelten in einer Welt ohne Fenster. Über die Freiheit, die „Welt jenseits von mir“, die vor allem nervt, die deprimiert, die so „freundlich und nett ist“, so sinnlos. „Drinnen im Gefängnis ist die Zeit zeitlos“, sagt Todorov, als er vor einem Uhrenladen steht. Seine Uhr hat er einem Mitgefangenen geschenkt, der noch 20 Jahre vor sich hat.
„Im Gefängnis“, sagt Todorov, „passiert vielleicht alle drei Monate etwas. Manchmal passiert fünf Jahre überhaupt nichts.“ Im Film geschieht alle fünf Minuten etwas, und nach 90 Minuten sind die 22 Jahre vorbei. „Und insofern glaube ich, daß ein Film Gefängnis überhaupt nicht darstellen kann. Das ist letztlich ein witzloser Versuch“, resümiert Todorov. Uli Kocks „Gangsterfilm“ ist ein wertvoller witzloser Versuch geworden. Lutz Meier
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