■ Standbild: Die Bildergruft
„50 Jahre Hessen“, Donnerstag, 22.40 Uhr, Hessen 3
Am schönsten sind immer die Kommentare: „Die vieltausendjährigen Fossilien-Raritäten überstanden sogar das Ende des tausendjährigen Reiches“ heißt es zu Bildern, die Restauratoren im Frankfurter Senckenberg- Museum beim Abstauben eines Dinosauriers zeigen. Es folgen Bilder von der documenta 2, von der wiedereröffneten Frankfurter Buchmesse und von Harry Buckwitz' Frankfurter Brecht- Aufführungen. Diese interessanten Dokumente aus der „Schatzkammer des Zeitgeistes“ stellte Franziska Kutschera auf solch schnarchnasige Weise zusammen, daß „langweilig“ ein Euphemismus wäre.
HR-Kulturchef Jürgen Kritz moderiert. Er sitzt, wie immer mit zuckenden Schultern, vor dem unvermeidlichen Schneidetisch und palavert angestrengte Belanglosigkeiten. Es folgen Bilder vom ersten Jazzkonzert des Hessischen Rundfunks 1957, dem Besuch Jane Mansfields in Frankfurt sowie Ausschnitte aus einer Rede Thomas Manns. Eine Fotographie von Horkheimer und eine von Adorno darf in derartigen Bilder-Flickenteppichen natürlich nicht fehlen. Das Material ist gewiß nicht uninteressant. Doch mit einer wundersamen Präzision wurde es so zusammengestellt, daß ein unlebendiger und musealer Blick den Bildern jeglichen Atem nimmt.
Geschichte im Fernsehen – ein altes Dilemma. Das belichtete Material lagert brav und unschuldig im Archiv. Das Zusammenschneiden alter Filmreste ist billig. Also schickt man von Zeit zu Zeit jemanden in die Bildergruft zwecks Recycling. Was dabei geschieht, ist immer dasselbe. Auf dem Weg ins Archiv wird derjenige, den man losgeschickt hat, selbst zum Archivmaterial. Mit dem ewig gleichen Ergebnis, daß die Verbindung zur Gegenwart in derartigen Bilderreigen abgeschnitten wird. Geschichte endgelagert in ewiger Vergangenheit.
Wirklinien historischer Ereignisse, die bis heute reichen? Parallelen, Kontinuitäten, Brüche? Die Verfolgung der Frankfurter Theatergeschichte vom Avantgarde-Haus bis zur heutigen Bedeutungslosigkeit hätte sich angeboten. Nichts dergleichen. Geschichte wird aufbereitet wie für die japanischen Touristen, die im Stundentakt durchs Goethehaus geschleust werden. Nur sind wir jetzt die Japaner, die mit braven Minolta-Augen einen leicht konsumierbaren Blick auf die Freiwillige Selbstkontrolle in Wiesbaden werfen. Manfred Riepe
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