■ Standbild: Dialektisch
„Das nächste bitte“, Mo., 18.30 Uhr, West 3
Das hätte sich Olav Kracht nicht gedacht. Das Öffentlich-Rechtliche kopiert den „Notruf“. In einer Reihenhaussiedlung der oberen Mittelklasse: Frau X hält ein Schwätzchen mit der Nachbarin und läßt den Müllbeutel mit Kalbsknochen allein...
Da kommt Kosta, der Cocker, aus dem Gebüsch und macht sich über die Abfälle her. Das kennen wir schon von Mario, dem Hund von meinem Freund Thomas. Der frißt beim Spazierengehen immer die Mülleimer leer und gualpt das Zeugs dann nachts in den Flur. Bei Kosta ist das anders: „Zu viele Knochen, gekocht oder gegrillt, können zu betonhartem Steinkot führen.“ Da gibt Frauchen ihrem Wauwau flugs Milch mit Milchpulver. Davon gibt es genug, denn die nach Sarajevo adressierten Konvois sind von den Serben ja alle zurückgeschickt worden.
Schlimmer erging es Boxer Äintschie, der von Opa und Oma nur einmal täglich einen Riesenbatzen zu fressen kriegt. Wen wundert's, daß sich dem Köter der Magen herumdreht. Eine sachdienlich eingeblendete Grafik zeigt: Das sieht übel aus.
Lehrreich ist weniger der intendierte Inhalt als die darstellerische Streubreite. Beim Versuch, das Thema zeitgemäß zu vermitteln, werden (un?)wissentlich Fernsehformate kopiert, vom Reality-TV bis zur Daily Soap. Zwischen diesen allmächtigen Vorgaben blitzt der dressierte Alltag der Laiendarsteller um so ungeschminkter hervor. Krümmt sich der Boxer im Gebüsch, kreischt Oma: „Äintschie, was ist, das gibt's doch wohl nich', mein Schätzchen!“ Wir sehen, das ist grotesk gespielt, und wir sehen zugleich: Das ist in sich vollkommen authentisch. Denn die Wirklichkeit kopiert das Fernsehen. Genau das bedeutet Dialektik. Manfred Riepe
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