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■ StandbildGretchen läuft nicht Amok

37 Grad: Wut im Bauch – Wenn Frauen gewalttätig werden, Dienstag, 22.30 Uhr, ZDF

Geschmackvoll, geschmackvoll: Die Ankündigung zu diesem Feature aus der Serie „37 Grad“ hatte meine Fernsehzeitschrift mit einem Foto von Ingrid van Bergen illustriert. Die Schauspielerin kam zwar in dem Film überhaupt nicht vor. Aber die Bildunterschrift lieferte den Zusammenhang gleich nach: „Aus Eifersucht erschoß Ingrid v. Bergen ‘77 ihren Geliebten“, stand da in kleinem Fettdruck.

Da hatte wohl ein Fotoredakteur seinen kreativen Tag. Man kann es sich richtig vorstellen, wie es im Redakteursgehirn zu ticken beginnt: Ein Film über Frauen, die gewalttätig werden. Hm, was gibt's denn da für Bilder? Und schon purzeln die ganzen Klischees: Gretchen, Salomé, Judith und Holofernes, die Kindsmörderin, der männerzerstörende Vamp, die Eifersüchtige. Ach ja, und hat Ingrid van Bergen nicht auch damals ihren Lover...

In Wirklichkeit ist es etwas anders, wie „Wut im Bauch“ zeigt. Tatsache ist: Frauen morden selten, viel seltener als Männer. Wenn Frauen jemanden töten, sind es meist Menschen, mit denen sie „Beziehungen im sozialen Nahbereich“ verbinden, wie es in schönem Diplompsychologendeutsch in Karin Seybolds Film heißt. Weibliche Amokläuferinnen gibt es nicht; Unbekannte in der Fußgängerzone abzuknallen, ist ein reiner Männersport. Meist sind die Opfer Ehemänner und Partner, die ihre Frauen so lange schikanieren, bis die ihre Wut und ihre Demütigung nicht mehr länger unterdrücken können und planlos morden. „Da waren keine Gedanken“, sagt eine der Frauen, die Karin Seybold interviewt hat.

Drei Frauen, die gemordet haben, zeigt der Film. Alle haben ihren Partner umgebracht, in zwei Fällen waren es die ungeliebten Ehemänner, die ihren Frauen das Leben zur Hölle machten. Als Kontrast werden in einer verwirrenden, kurzen Sequenz ein paar Teenagerinnen gezeigt, die sich auf dem Rummelplatz fast mit Jungs anlegen. Soll das beweisen, daß junge Frauen das Patriarchat überwunden haben?

Die Frauen, die ihre Männer umgebracht haben, hatten nie gelernt, sich zu wehren. Ihren Frieden gefunden habe sie erst im Knast, nach dem Mord, sagt eine von ihnen. Wirklich verstehen kann man keine der Mörderinnen nach diesem Film. Aber das wäre vielleicht auch zuviel verlangt. Tilman Baumgärtel

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