■ Standbild: Phantomschmerz
Rolle rückwärts, Freitag, 16.03 Uhr, ARD
Lieber als alle Kriegserlebnisse und Geschichten über kaputte Organe sind mir am familiären Kaffeetisch die Gespräche übers Fernsehen. Nicht über den gestrigen „Tatort“, sondern von den Anfängen, als der Fernseher noch eine Art Altar und Peter Frankenfeld der Leibhaftige war. Dann kommt Andacht auf und der Wunsch, daß alles wieder so sein solle wie damals, als Bravo sich noch mit Postern von Lou van Burg und Gerhard Wendland schmückte. Das ist Oral history vom feinsten, nach der mich meist ein eigenartiger Phantomschmerz befällt.
So sind all die Wiederholungen, die die ARD zur Zeit aus ihrem gewaltigen Fundus kramt, wie ein Wiedersehen mit guten Bekannten. Je älter, desto besser. 20 Jahre alte Tagesschauen und Talk-Shows voll betrunkener Gäste mit Koteletten. Und Hajo! Nicht Friedrichs, sondern Kulenkampff. Bei dem wußte ich nie, ob ich ihn wirklich gut finde oder nur mag, weil meine graumelierten Tanten immer noch seine Groupies sind.
Jetzt weiß ich es, denn Kuli als Paul McCartney in einer Beatles- Parodie aus den 70er Jahren – das war zweifellos der Höhepunkt der „Rolle rückwärts“, die Christoph Deumling drehen darf, was durchaus beneidenswert ist. Denn die halbstündige Essenz aus 40 Jahren Erstes Programm ist eine todsichere Bank. Was soll schon schiefgehen, wenn einem die Archivare die Schmankerln aus den Kellern der Fernsehanstalten auf den Projektor legen?
Ein Schimpanse, der der Ehefrau von Johnny Weissmuller die Perücke vom Kopf reißt (Sportstudio 1971), macht einen Moderator völlig überflüssig. Und so beschränkte sich Christoph Deumling darauf, gemessenen Schrittes durch das Studio zu gehen und nur ab und an einen Hockschen Zeigefinger auszufahren. Auch das Publikum wirkte, als hätte es die letzten 40 Jahre im Archiv verbracht. Kein Schenkelklopfen, kein lautes Losprusten, statt dessen legte sich ein leises Schmunzeln auf die Gesichter, und das auch nur, wenn es wirklich etwas zum Schmunzeln gab. Ansonsten herrschte Stille.
Schön, daß es jetzt einmal die Woche Gelegenheit gibt, dem lärmenden Talkgewitter am Vor- und Nachmittag (siehe Foto) zu entkommen. Eine halbe Stunde Katharsis, nach der man noch lange ergriffen auf dem Sofa sitzt und „So soll es wieder sein“ murmelt. Oliver Gehrs
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