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■ StandbildUnvergeßliche Minuten

„Poesie zur Nacht“, Sonntag, 23.45 Uhr, N 3

Philip Rosenthal ist nicht nur ein chinesischer Porzellanfabrikant, ein hoher Flieger, fremder Legionär und alter Babysitter (?), sondern auch der arme Poet der Mitternacht – wer hätte das gedacht? Der gut informierte NDR! Und mit ihm der schriftleitende Redakteur Jochen Wolf Redakteur. Deswegen, wegen dem! – kam eines zum anderen: Rosenthal war am ausklingenden Sonntag mit seinem herbstlichen Spätwerk zu erleben, fünfzehn unvergeßliche Minuten.

Da saß er mit offenem, weit offenem Hemd mitten im Fernseher und las nach Schillers „Freund und Feind“ und Hesses „Stufen“ frank und frei einen eigenen aphoristischen Hymnus vom Blatt: „Erfolg im Leben ist etwas Sein / etwas Schein / und sehr viel Schwein. // Mißerfolg im Leben ist etwas Blech / etwas zu frech / und sehr viel Pech.“

Und kann das einen nicht anfassen wie ein Wunder? Ist dieser Rosenthal wirklich nur das Kind der Welt, das wir kennen und auf dem wir essen? Nach weiteren, eindringlichen Fragen nach seinen ästhetischen Maximen („Wann schreiben Sie das?“) gab sich Rosenthal als Originalgenie zu erkennen, das sich vom Augenblick her in die Vergänglichkeit einschreibt („No, wenn sie mir einfallen“).

Und damit nicht genug: Rosenthal ist auch ein Übersetzer. Vor laufender Kamera übertrug er (wahrscheinlich) Edward Fitzgeralds Übersetzung eines Vierzeilers des sehr alten und sehr banalen iranischen Dichters Omar Chayyam. Es war ein Epigramm über irgendwas. Aber es war vor allem eine Rosenthalsche Überführung!

Und damit noch immer nicht genug: Rosenthal ist nicht nur ein Ruderer, Bergsteiger und ein Goldkettchen (?). Er ist auch Philosoph. Und anders als die anderen Philosophen ist er nicht durchdrungen von der Liebe zur Weisheit, wie uns die Ethymologen bisher glauben ließen (philein = lieben, sophia = Weisheit). Rosenthal übersetzt den Philosoph ganz einfach als den „Freund des Wissens“ und baut dem Abendland damit goldene Brücken zur Technophilie.

Das alles ist sehr staunenswert. Nach nur fünfzehn Minuten Poesie mit Rosenthal waren Dichtkunst, Übersetzerwesen und Wissenschaft nicht mehr das, was sie mal waren. Rosenthal ist eben nicht nur ein burschiger Nihilist, ein strenger Dilettant und leutseliger Popster. Er ist auch eine typische Speckschnecke. Marcus Hertneck

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