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■ StandbildDie Reportagemaschine

„Spiegel-TV: Weltrekord bei minus 52 Grad – Der Sprung vom Himmel“, Sonntag, 23.00 Uhr, Sat.1

In 10.000 Meter Höhe kommt die Gesichtshaut ganz schön ins Flattern. Auch die Sache mit dem Sauerstoff funktioniert nicht mehr so recht, der Kopf wird immer heißer, und an Händen und Füßen machen sich erste Gefrierbrände breit: Angesichts der schaurigen Physiognomie- Veränderungen fragt sich nicht nur der Mann am Fallschirm, was das eigentlich soll.

Fast werden wir Zeugen eines Weltrekords, doch im entscheidenden Moment versagt die Helm-Kamera. Egal, denn schöner sind ohnehin die Bilder von der Erde: Die Vorbereitung in der Druckkammer samt Gedächtnisverlust im sowjetischen Jet-Helm, die Tränen, die bange Ehefrauen ins Sofakissen weinen, und die Enttäuschung nach wetterbedingtem Scheitern des ersten Versuchs.

Am Ende sehen wir nicht wirklich glückliche, eher erschrockene Männer, die sich die klammen Glieder von der Familie warmpusten lassen. Sie haben es geschafft und wissen selber nicht wozu. Die Motivation verschwindet hinter einer kompakten Wolkendecke. Würden Sie noch einmal springen, fragt der einfach denkende Reporter. „Eher nicht.“

„Beiß dich durch“, erläutert einer der Teilnehmer seine schlichte und völlig zweckfreie Philosophie. Der spröde Mittelständler, der Kampftaucher, der Grenzbeamte – sie alle sind dem Messner-Syndrom Anheimgefallene. In ihren langweiligen Nächten träumen sie davon, ohne Zehen die Arktis zu durchqueren, am Bungee-Seil zu pendeln und vom freien Fall, bis das Kleinhirn aussetzt.

Wie bei den Stabreimern von Spiegel-TV. Auch die gehen Reportage um Reportage in Grenzbereiche – sprachlicher Art: Um das Erklärungsdefizit auszugleichen, greifen sie tief in die Stereotypen-Kiste, bramarbasieren vom „ultimativen Kick“ und wundern sich, daß auch „Kampfmaschinen Familie haben“. Hätte man sich denken können, zumal Frau und Kind im Bild zu sehen waren.

Die Reportagemaschine von Stefan Aust läuft auf Hochtouren. Da ist für Wartung wenig Zeit. Texte aber brauchen Pflege, auch wenn sie nur gesprochen werden. Sonst nähert man sich schnell dem dramatisierenden Sprach-Gebell von journalistischen Sündenfällen wie „Explosiv“ oder Ulrich Meyers „Akte-96“. Oliver Gehrs

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