■ Standbild: Asylantenfolklore
„Tatort: Kriegsspuren“, Sonntag, 20.15 Uhr, ARD
Es wird dem Fernsehen gerne vorgeworfen, dass es sich so gar kein medienkritisches Eckchen mehr leistet. Das ist ungerecht. Allein: Die mediale Supervision findet im Kriminalfilm statt.
So auch im jüngsten „Tatort“. Lena Odenthal hat einen Mord zu sühnen, aber der Täter wird uns zunehmend sympathischer. Der „Doktor“ ist ein Bosnienflüchtling, seine Frau verlor er auf der Flucht aus den Augen. Als er sie im Internet wiedersah, war sie die Hauptperson eines Underground-Videos: Kriegsreporter hatten mit der Kamera draufgehalten, während sie von Soldaten brutal vergewaltigt wurde. Der Doktor übt nun Selbstjustiz: Er knallt den Kameramann ab, und auch der Reporter, der tatenlos zusah, ist seines Lebens nicht mehr sicher. Nicht der eher schleppende Krimi-Plot sollte hier auf uns wirken. Die auf Eindringlichkeit durchkalkulierten Videobilder dieser Vergewaltigung bildeten das eigentliche Zentrum der Handlung.
Wie soll man eine solche Mission beurteilen? Nach moralischen Kriterien? Oder nach ästhetischen? Ist es relevant, ob ein solcher „Tatort“ dramaturgisch seine Spannung halten kann? Oder reicht es, dass er „gesellschaftspolitisch bedeutend“ war? Die Strategie der ARD-Fernsehspielkoordination, die Krimi-Reihe „Tatort“ so oft es geht zu politisieren, zeigt sich längst als gefährliche Gratwanderung. Denn nicht immer werden bedrückende Tatsachen so eindrucksvoll in ein standardisiertes Krimi-Format implantiert, dass sie uns wirklich ins Herz treffen. Es waren banale ästhetische Kleinigkeiten, die hier die Katharsis verhinderten: Dominique Horwitz blieb als zynischer Kriegsreporter weit unter seinen Möglichkeiten – seine professionelle Deformation nahm man ihm nicht ab; der Doktor und alle Asylbewerber blieben stumme Abziehbilder unserer Vorurteile; die Kommissare verloren sich in lächerlichen Posen. Was als selbstreferentielle Kritik an der Jagd nach Kriegsbildern gemeint war, verkam zur Asylantenfolklore. PC-Fernsehen der brutalsten Sorte. Klaudia Brunst
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen