Stahlkocher stimmen für Streik: Heißer Kampf am kühlen Hochofen
■ Mit deutlicher Mehrheit stimmten die Stahlarbeiter gestern für einen Streik. 86,8Prozent gaben bei der Urabstimmung ihr Ja zum Ausstand. Die Arbeitgeber rechnen mit einem...
Heißer Kampf am kühlen Hochofen Mit deutlicher Mehrheit stimmten die Stahlarbeiter gestern für einen Streik. 86,8Prozent gaben bei der Urabstimmung ihr Ja zum Ausstand. Die Arbeitgeber rechnen mit einem harten Arbeitskampf und drohen mit Aussperrungen
AUS DORTMUND WALTER JACOBS
Die Würfel für den Streik der Stahlarbeiter sind gefallen. Bei einer Wahlbeteiligung von knapp 96Prozent stimmten 86,8Prozent der in den vergangenen fünf Tagen an die Urnen geeilten westdeutschen Stahlarbeiter mit „Ja“. Das erforderliche Quorum von 75Prozent wurde damit deutlich überschritten. Der Streik ist jetzt so gut wie sicher.
Nachdem am Freitag der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Ulrich Schmithals, erklärt hatte, daß ein neues Angebot zur Streikvermeidung nicht vorgelegt würde, steht für Klaus Zwickel, im Frankfurter IG- Metall-Vorstand für Tariffragen zuständig, fest, „daß der Streik unvermeidbar ist“. Schuld daran seien allein die Scharfmacher im Arbeitgeberlager. Der endgültige Streikbeginn wird am 4.Februar vom Bundesvorstand der IG-Metall festgelegt. Welche Werke dann als erste in den Streik einbezogen werden, hält die IG-Metall unter Verschluß. Selbst die örtlichen Funktionäre tappen noch im dunkeln. Die Vorbereitungen für den Streik sind in diesen Wochen an allen Standorten schon angelaufen. Die örtlichen und betrieblichen Streikleitungen sind bereits gewählt, ebenso die Torbesatzungen, die verhindern sollen, daß weiteres Material mit Streikbeginn an- oder abtransportiert werden kann. Zumindest in der Anfangsphase dürfte die Blockade leicht fallen. Das gute Ergebnis der Urabstimmung — beim letzten Stahlstreik 1978/79 lag es ebenfalls bei 87Prozent — unterstreicht die Ent- und Geschlossenheit der Stahlkocher. Streikbrecher haben da überhaupt keine Chance. Ein straffes Regiment der IG-Metall sorgt im übrigen dafür, daß die Reihen geschlossen bleiben. Wer sich nicht täglich seinen Stempel in einem der zahlreichen Streiklokale abholt, geht bei der Streikunterstützung leer aus. Das schafft Disziplin.
Geschlossen in den Arbeitskampf
Im Moment muß sich die Gewerkschaft um die Geschlossenheit ohnehin nicht sorgen. Im Gegenteil, in den Betrieben sind die Zweifel am Streik weitgehend ausgeräumt. In den letzten Tagen, so Günther Spahn, Betriebsrat bei Thyssen, „hat es einen Umschwung gegeben“, eine „Trotzreaktion“, denn die Stahlkocher sind nicht länger bereit, die Abkopplung vom Lohn in der Metallindustrie hinzunehmen. Zur Zeit liegt der Metallecklohn schon um 1,13 Mark pro Stunde höher. Für die gleiche Arbeit wollen die in der Stahlbranche Beschäftigten künftig auch gleich entlohnt werden — wie dies früher der Fall war. Sie wollen nicht länger akzeptieren, daß zum Beispiel ein Elektriker im Krupp-Stahlwerk bis zu zwei Mark pro Stunde weniger verdient als der Elektriker, der eine Tür weiter bei Krupp-Industrietechnik arbeitet.
Tatsächlich sind die Lohnstückkosten, also der Lohnkostenanteil am verkauften Produkt, in der Stahlindustrie in den vergangenen Jahren nicht gestiegen (siehe Interview).
Das Jammern der Stahlarbeitgeber über die aktuelle Gewerkschaftsforderung vernebelt deshalb die tatsächlichen Verhältnisse. Am Dienstag dieser Woche hat der oberste Thyssen-Chef, Heinz Kriwet, selbst eingeräumt, daß „Angebot und Forderung nicht so weit auseinanderliegen“. Warum bleiben Kriwet & Co dann so stur? Offenbar deshalb, weil die Arbeitgeber, wie der Verhandlungsführer, Ulrich Schmithals, ganz offen geäußert hat, zur Durchsetzung der „tarifpolitischen Wende entschlossen“ sind. Angesichts der Flaute im Stahlbereich, so Schmithals wörtlich, „haben wir jetzt weniger zu verlieren“.
Das könnte sich als teurer Irrtum erweisen. Wenn gestreikt wird, da ist sich der Zweite Vorsitzende des Rheinhausener Krupp-Betriebsrates, Theo Steegmann, sicher, „schraubt sich der Erwartungshorizont hoch“.
Gewerkschaft könnte lange durchhalten
Tatsächlich könnte die IG-Metall — so sie sich entschlossen zeigte — den Streik lange durchhalten.
Der die Gewerkschaften knebelnde Paragraph116 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), der die Zahlung von Kurzarbeitergeld regelt, greift in der Stahlbranche nur bedingt. Sollten etwa durch den Stahlstreik außerhalb der Stahlbranche angesiedelte Industriezweige — wie die Automobilwerke — wegen Materialmangels geschlossen werden, bekämen die dort nach der Terminologie der Gewerkschaften „kalt ausgesperrten Beschäftigten“ Kurzarbeitergeld vom Arbeitsamt. Die Zahl der von der IG-Metall finanziell zu unterstützenden Mitglieder bleibt also maximal auf die rund 130.000 Beschäftigte der Stahlindustrie beschränkt. Für die muß die Gewerkschaft nach der Novellierung des Paragraphen116 im Jahr 1986 allerdings auch ausnahmslos aufkommen. Geld aus der Gewerkschaftskasse bekommen also auch Beschäftigte jener Stahlbetriebe, die gar nicht bestreikt werden, sondern wegen Zulieferengpässen kurzarbeiten. Unterstützt werden von der Gewerkschaft ohnehin die „heiß“ ausgesperrten Stahlkocher. Damit sind jene gemeint, die von den Arbeitgebern als Antwort auf den Streik sofort ausgesperrt werden. Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes von 1980 sind solche Aussperrungen legal, wenn sie „verhältnismäßig“ ausfallen. Der Hauptgeschäftsführer des Stahlarbeitgeberverbandes, Dirk von Mitzlaft, hat heiße Aussperrungen schon als „wahrscheinlich“ bezeichnet.
Mit der Novellierung des AFG hat die Kohl-Regierung den Arbeitgebern eine gefährliche Waffe an die Hand gegeben, die ihre volle Wirkung indes erst bei einem Streik in der Metallbranche entfalten kann. Würde die IG-Metall etwa die Zulieferer der Automobilbranche bestreiken, müßte sie damit rechnen, in kurzer Zeit für hunderttausende von Automobilwerkern Unterstützung zahlen zu müssen. Vor der Novellierung mußte das Arbeitsamt bei solchen Fernwirkungen Kurzarbeitergeld zahlen. Zwar läuft gegen dieses Gesetz eine Verfassungsklage, aber über den von der nordrhein-westfälischen Landesregierung schon 1986 auf den Weg gebrachten Normenkontrollantrag ist bis heute nicht entschieden. Ob die IG-Metall am Ende des nun bevorstehenden Streiks besser dastehen wird als ohne Streik, hängt letztlich allein von ihr selbst ab. Nichts wäre jedoch schlimmer als ein Ausgang wie beim Streik 1978/79. Damals wurde der Ausstand gegen den Widerstand vieler aktiver Gewerkschafter abgebrochen, ohne daß der Einstieg in die geforderte 35-Stunden-Woche erkämpft worden wäre. Die damals vereinbarten „Freischichten“ sowie der sechswöchige Urlaub galt vielen Gewerkschaftern als „fauler Kompromiß“, erinnert sich Bernd Schimmeyer, damals bei Hoesch gewerkschaftlicher Vertrauensmann und inzwischen Betriebsrat. Dafür hatte man nicht 44 Tage lang bei Minustemperaturen von bis zu 20Grad gestreikt. Entsprechend gespalten waren die Mitglieder. Bei 45,05Prozent Nein-Stimmen kam der „faule Kompromiß“ in der Schlußabstimmung nur knapp durch. Die Folge: Frustrationen auf allen Seiten. Bernd Schimmeyer heute: „Ich hab die Hoffnung, daß wir die Fehler von damals nicht wiederholen werden.“
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