Stadträte tolerieren halblegales Pflanzen: Lasst tausend Blumen blühen
Viele Grünflächenämter können sich keine Frühjahrsbepflanzung mehr leisten. Da das Geld fehlt, dürfen nun die Bürger ran. "Guerilla Gardening" wird toleriert - meistens.
"Guerilla Gardening", die heimliche Aussaat von Pflanzen auf städtischen Brachflächen, ist illegal. Doch angesichts der leeren Kassen der Grünflächenämter entdecken viele Stadträte ihre Sympathien fürs Illegale.
"Eine eigenständige Bepflanzung von Grünanlagen ist nach dem Grünanlagengesetz ordnungswidrig", erklärt Klaus-Dieter Gröhler (CDU), Baustadtrat in Charlottenburg und studierter Jurist. Ein Delikt, das den Christdemokraten aber nicht zu stören scheint. Wildgärtnerei habe er nie geahndet, so Gröhler. Wollen die Bürger selbst pflanzen, so bittet der Stadtrat sie lediglich, nicht zu viel frische Erde für die Baumscheiben zu verwenden, denn die Baumrinden vertrügen die Feuchtigkeit nicht.
Auch seinen Neuköllner Amtskollegen, Baustadtrat Thomas Blesing (SPD), kümmern die ordnungswidrigen Pflanzaktionen nicht: "Da sollen die Leute machen, wie sie wollen" sagt er. Denn: "Für Frühjahrsblüher fehlt dem Bezirk das Geld", so Blesing. Lediglich drei repräsentative Standorte, rund um den Brunnen am Rathaus, am Standesamt und am Britzer Schloss, werden ganzjährig bepflanzt.
Mit einem Tulpenaktionstag, an dem 10.000 Tulpenzwiebeln an Freiwillige verteilt wurden, hat der BUND in der letzten Woche auf die defizitäre Lage der Grünflächenämter aufmerksam gemacht.
Die 37-jährige Birgit war die Erste, die in Neukölln ihre Tulpenzwiebeln abholte. Einen Trolley hatte sie mitgebracht, um die 100 Tulpenzwiebeln zu transportieren, die sie sorgfältig aus einem Pappkarton auswählte. Die Tulpen wird sie zusammen mit vier Freunden am Richardplatz einpflanzen, erzählt die zierliche blonde Frau. "Blumenbeete gibt es hier nicht. Darum kreieren wir unsere eigenen", sagt sie. "Der Bezirk interessiert sich nicht für die Bepflanzung", fügt sie hinzu. Ihren Nachnamen will Birgit nicht nennen, schließlich ist ihr Handeln nicht gesetzeskonform.
Dabei findet Baustadtrat Thomas Blesing die Aktion des BUND durchaus lobenswert - allerdings zweifelt er den Erfolg an. Zumal es nicht die richtige Zeit zum Pflanzen sei, wie auch Christian Hönig von BUND einräumt.
Tulpen müssen im Herbst gepflanzt werden, weil sie einen "Kälteschock" benötigen. Die verteilten Zwiebeln werden daher wohl drei bis vier Wochen verspätet aufblühen, manche sogar erst nächstes Jahr, so Hönig. Carmen Schultze, die Sprecherin des BUND, ficht das nicht an. "Die Grünflächenämter sind so ausgeblutet, dass sie noch nicht mal mehr das Geld für Tulpenzwiebeln haben", kritisiert sie.
Eine Aussage, die sich im Neuköllner Nachbarbezirk Friedrichshain-Kreuzberg bestätigt: "Für die Bepflanzung mit Frühjahrsblühern stehen keine Mittel zur Verfügung", räumt Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne) ein. "Die Mittel wurden bereits in den 90er Jahren derartig gekürzt, so dass es keine Frühjahrsbegrünung mehr gibt", so Panhoff. Gegen die Pflanzaktionen von Bürgern hat auch Panhoff nichts. Im Gegenteil: "Wir freuen uns über Eigeninitiative", sagt er.
"Die Pflanzaktion ist eine schöne Idee, aber man sollte da schon vorsichtig sein und das am besten mit den Grünflächenämtern abstimmen", mahnt Petra Rohland, Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, an. "Die Wildgärtnerei hat auch Nachteile", sagt sie. Bestimmte Grünflächen seien beispielsweise schon gestaltet, und zusätzliche Pflanzungen könnten das Gesamtbild stören.
Ein Bezirk, in dem das Pflanzbild tatsächlich noch gestört werden könnte, ist Berlin-Mitte. Hier werden 15.420 Euro auf die Frühjahrsbepflanzung verwendet. Mit knapp 40.000 Pflanzen wurden in dieser Woche die Schmuckanlagen an der Luiseninsel, im Englischen Garten und am Alexanderplatz verschönert.
Aber auch in Mitte sind die Gelder knapper geworden. "In den letzten zehn Jahren haben sich die Mittel für die Bepflanzung um ungefähr 50 Prozent reduziert", sagt Jürgen Götte, Inspektionsleiter des Grünflächenamtes. Dadurch bleiben Beete, wie das am Tiergarten-Ufer, das letztes Jahr noch bepflanzt wurde, in diesem Jahr leer.
Eine positive Ausnahme zur klammen Finanzlage der Grünflächenämter bildet der Bezirk Reinickendorf. Hier wurden in den letzten Jahren die Mittel aufgestockt, was Rüdiger Zech, Leiter des Garten- und Straßenbauamts Reinickendorf, seit drei Jahren eine grünere Bepflanzung erlaubt. Er sei sich bewusst, dass Reinickendorf hier eine positive Ausnahme zu anderen Bezirken bilde, so Zech.
Rund 70.000 Blumenzwiebeln waren bereits im Herbst gepflanzt worden, nun werden noch knapp 10.000 Frühjahrsblüher folgen. Den Aktionstag des BUND findet Zech "eher unglücklich". Eine Kooperation mit den Grünflächenämtern sei sinnvoller gewesen, damit der Bezirk nicht nachher selbstbepflanzte Beete ummähen müsste.
Die reichhaltige Begrünung in Reinickendorf sei ein gezieltes Anliegen der Politik, erklärt Baustadtrat Martin Lambert (CDU). Aufgrund des Haushaltsüberschusses sei man in Reinickendorf in der Lage, für eine ausgiebige Bepflanzung zu sorgen. Mit Blumenpartnerschaften versuche man, die BürgerInnen in die Blumenpflege einzubeziehen. "Die Menschen sollen sich hier wohl fühlen" sagt Lambert. Ein Ziel, das er mit "Wildgärtnern" wie Birgit und ihren Freunden gemein hat.
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