■ Stadtmitte: Sturm im akademischen Wasserglas?
Die Lage der Universitäten ist so beschissen, daß aus ihr gut erklärt werden kann, warum ihre eigenen Kinder, die Studierenden, im Durchschnitt ohnmächtig auf ihre Examina getrimmt werden oder, wie es so schön heißt, vorzeitig abgehen. Drei summarische Merkmale mögen diesen miesen Zustand ausflaggen:
1. Die Universität, angeblich die intellektuelle Spitzeninstitution, vegetiert ohne Kopf dahin. Ihr fehlt auch nur die Idee einer Idee einer operablen Bildungskonzeption. Sofern eine solche den gegenwärtigen Problemen angemessen und gerade deswegen als Menschen-Bildung gefaßt werden sollte.
2. Die Massenuniversität stellt ein bürokratisches Monstrum dar. Dazu ist sie mitnichten infolge der notwendigen und weiter zu fördernden Zunahme der Studierenden geworden. Die Einheit bürokratischer Verfahrensweisen in der Vielzahl der abgeschotteten Fächer ist die Folge einer fahrlässigen und antidemokratischen Rückwärtsreform seit gut zwanzig Jahren.
3. Negativ am meisten prägewirksam ist die Asozialität der Universität als Lern- und Forschungsort. Hier kann man endlich von einer lebendig wuselnden Utopie reden. Atomismus ist Trumpf unter den Lehrenden. Sie werden bestenfalls von repressiven Prüfungsordnungen formell zusammengezwungen. Atomismus ist Trumpf unter den Forschenden. Jedenfalls stimmt dies für die nicht existierende Kooperation zwischen den Forschenden an den Universitäten, denen sie angehören. Unbehaust schließlich ist die Situation, die die Studierenden wörtlich und im übertragenen Sinne vorfinden. Ohne einen eigenen Raum werden sie Eigensinn kaum entwickeln können.
In solcher Situation, die nach Änderung geradezu „strukturell“ schreit, gehen die zuständigen Institutionen darauf aus, die Universität und ihren „Geist“ vollends aufzuheben. Die allorientierende Weltökonomie und die Standortkonkurrenz haben als gesunkenes Kulturgut das Dreigestirn der Ziele Mobilität, Flexibilität und Innovation zum bildungspolitischen Credo werden lassen. Lean production lautet deswegen auch das Schlüsselwort universitärer Horizontlosigkeit. Lean universities, Zweiklassenstudiengänge, stramme Fachhochschulen und noch strammere Berufsakademien.
Noch mehr bedrückt, daß die Professoren und Profiteure in einem nichts zu sagen haben. All den hirnlosen, stromlinienförmigen Blödsinn vom Wissenschaftsrat bis zum Berliner Wissenschaftssenator lassen sie, allenfalls besitzständlerisch maulend, über sich ergehen. Was Wunder, daß es den Letzten, den Studierenden, so geht wie den Konsumenten allhin. Sie werden hochgestapelt und tiefgehalten. Wie sollten sie kollektiv aufmucken?
In dieser Situation hat ein ProfessorInnenseptett an der FU zum „Sturm auf die Universität“ geblasen. Es hätte freilich schon die Backenkraft des Trompeters von Jericho haben müssen, um die Studierenden aus ihrem weitgehend fremdverschuldeten vereinzelten Trott aufwachen zu machen. Immerhin: Sparsam besuchte Vollversammlungen über die Unverhältnisse der FU fanden statt; Arbeitsgruppen über Studienbedingungen und den effizienten Ausverkauf der Universität sind am Werk; sachte Go-ins sollen bei passender Gelegenheit geübt werden. Gegenwärtig wirken diese „versprengten“ ProfessorInnen und StudentInnen eher wie Schwalben, die selbst wissen, daß sie keinen Sommer machen; als pfiffen sie, weil sie die selbstverschuldete Sprachlosigkeit der Universitäten ängstigte. Der Eimer nötiger Reformanlässe ist heute größer und voller als je. Er müßte vor Reformnot überlaufen. Doch nichts weist darauf hin. Um so wichtiger ist es, die Stimme zu erheben (von akademisch nötigem Ungehorsam im Land der bildungspolitisch unbegrenzten Unzumutbarkeiten will ich schon gar nicht mehr reden). Damit demokratische Bildungs- und Hochschulpolitik, nötiger und unwahrscheinlicher denn je, nicht vollends auf der Strecke bleiben. Wolf-Dieter Narr
Der Autor lehrt Politik an der FU.
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