Stadtmitte: Die Schicksale sind „unbeachtlich“
■ Asylberatung muß „Fehler“ nachbessern, die Behörden mit Bedacht produzieren
Am Anfang ist das Wort – am Ende steht die Abschiebung. Damit läßt sich zusammenfassen, was die meisten Flüchtlinge in Berlin erwartet. Menschen werden von Behörden zuerst durch Papier erschlagen, bevor man handgreiflich wird. Dies ist bei uns guter Brauch.
Deutsche Behörden verwenden dafür deutsche Wörter, aus dem Juristischen, einer Geheimsprache, die auch den meisten Deutschen nicht geläufig ist. Ausländische Flüchtlinge verstehen aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse in der Regel nicht, was über sie verfügt, ihnen angedroht, bei ihnen vollzogen werden soll. Ihnen wird nichts erklärt.
Die Konsequenz: Morgens in einer beliebigen Flüchtlingsberatungsstelle, die Flüchtlinge sitzen schon da und warten. In Massen und jeden Tag. Eine Zufallsauswahl. Sie erwarten Hilfe, Erklärungen und Lösungen.
Und so nehmen Beratungsstellen ihre Funktion als Feigenblatt des demokratischen Rechtsstaats wahr: Unter katastrophalen Bedingungen (fehlende Räumlichkeiten, keine Festfinanzierung für Stellen und Ausstattung, kaum Gelder für Dolmetscher, so gut wie nie großzügige Spenden) wird Fließbandarbeit geleistet. Wobei Flüchtlinge, was sie meist nicht kennen, allerdings nicht angeschnauzt und beleidigt werden. Die dankbaren Blicke hierfür sind kaum auszuhalten.
Und es ist immer viel zuwenig Zeit: Flüchtlinge werden jetzt durch ein Verfahren gejagt, das formalisiert und innerhalb einer Woche beendet ist (Hilfestellung für die Beamten in den Formularen: in jeder Spalte bitte nur ein Kreuz). Auf die Gründe der Flucht einzugehen ist häufig sinnlos, weil allein ein „falscher“ Einreiseweg als Abschiebungsgrund ausreicht. Die Schicksale sind „unbeachtlich“. Versierte Anwälte sind kaum zu finden. Hilfe beim Einlegen von Rechtsmitteln (innerhalb einer Woche!) kann sich – schon wegen des großen Andrangs – nur auf Formalien beschränken.
Dabei ist man auch noch damit konfrontiert, zuerst zu erklären, daß ein Bescheid bedeutet, daß eine Abschiebung bevorsteht und daß oft keine Möglichkeit besteht, etwas dagegen zu machen. In den Augen der Betroffenen ist man dann quasi verantwortlich für die Entscheidung, sie weinen, brechen zusammen und versuchen zu erklären, weshalb dies in ihrer Situation Unrecht ist. Und man sitzt oft genug da und weiß nicht, was man tun kann, weil es keine Hilfemöglichkeit gibt.
Dem setzen sich die Entscheidungsträger in Regierung und Verwaltung nicht aus. Eine unnötige Belastung, wenn man doch nur seine Arbeit tut für Volk und Vaterland: Flüchtlinge haben Zahlen zu bleiben, die zu reduzieren sind. Und so handeln die Behörden dann auch: Das Feindbild „Asylant“ hat sich so festgesetzt, daß man sich vielfach nicht einmal mehr darauf verlassen kann, daß sie sich an ihre eigenen Regeln halten, wenn sich ein Abschiebungshindernis ergeben könnte. Da finden sich ärztliche Atteste über Reiseunfähigkeit erst nach dem Abflugtermin an, da sollen russische Deserteure mit ihrem Militärausweis nach Moskau abgeschoben werden, obwohl die derzeitige Krise schon Hindernis genug sein müßte, da wird bei einer Risikoschwangerschaft nach einem Klaps auf den nackten Hintern von Ärzten, die sich dafür hergeben, Haft- und Reisefähigkeit bestätigt.
Feststellen läßt sich dies alles nur im seltensten Fall. Dann öffnet sich allerdings oft eine Büchse der Pandora: Der angeblich vorliegende Ausreisebescheid ist nicht da, dann kommt er erst später (war also noch nicht wirksam), dann wird er wieder aufgehoben, weil die formellen Voraussetzungen fehlen. Und so weiter, und so fort, in beliebigen Variationen.
Zur Zeit sollen gerade Tausende von Flüchtlingen aus dem früheren Jugoslawien durch ein sinnloses Asylverfahren genudelt werden. Man erinnere sich daran, daß die Abschaffung des bisherigen Grundrechts auf Asyl unter anderem damit begründet wurde, daß man genau diesen Bürgerkriegsflüchtlingen besser helfen könne. Können könnte man, aber wollen will man nicht! Der Krieg dort wurde (bis auf Bosnien) durch einen Rülpser von Bundesinnenminister Kanther (CDU) für beendet erklärt. Weil das alles System hat, sind Beratungsstellen daher gezwungen zu versuchen, auch diese Aufgabe – sozusagen nebenbei – zu erledigen. Es hilft nur zu versuchen, so oft wie möglich auf die Kacke zu hauen, so gut es eben geht. Nutzen wird es wenig, weil Entscheidungen vor allem von denen getroffen werden, die so eine dicke Haut haben, daß sie ohne Rückgrat stehen können. Renate Wilson
Die Autorin ist Mitarbeiterin der Zentralen Beratungsstelle für Flüchtlingsarbeit in den Bundesländern Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.
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