■ Stadtmitte: Eine Stadt ist vom Verkehr abhängig
Drei Jahre ist es her, da protestierten zwei einsame Bezirkspolitiker (Günther Packenius aus Treptow, ich aus Mitte) gegen die erste Fahrpreiserhöhung im Osten. Nun ist es wieder einmal soweit, die Fahrpreise bei der BVG sollen steigen. Taktisch klug zur Urlaubszeit wurden die Pläne der BVG in die Medien lanciert. Zuvor hatten die beiden Koalitionsparteien mit dem Doppelhaushalt 1995/96 die Senkung der BVG-Zuschüsse um dreißig Millionen Mark beschlossen.
Der Senat forderte im Landespressedienst die BVG gleichzeitig dazu auf, „durch eine differenzierte Tarifpolitik und konsequente Sparmaßnahmen einen Kostendeckungsgrad zu erreichen, der anderen Betrieben des ÖPNV in der Bundesrepublik entspricht“. Doch leider wurde bei der Darstellung in den Medien bewußt darauf verzichtet, die Kostendeckungsgrade einzelner Verkehrsbetriebe deutscher Städte miteinander zu vergleichen. Bloß die Fahrpreise wurden verglichen, wobei die ostdeutschen Städte alle noch weit unter den für den Ostteil Berlins geltenden Ticketpreisen bleiben. Das ist ein Beweis dafür, daß es immer noch starke Einkommensunterschiede zwischen Ost und West gibt, deshalb darf es ab 1995 auch noch nicht zur endgültigen Angleichung der Einzelfahrpreise in Berlin kommen!
Der ÖPNV wird immer ein Zuschußbetrieb bleiben, deshalb versuchen auch viele Kommunen, Mehreinnahmen aus anderen Bereichen, beispielsweise der Energie- und Wasserversorgung, in den Nahverkehr fließen zu lassen. Das funktioniert aber nur bei entsprechender Betriebsstruktur und nicht in Berlin, wo die einzelnen ehemaligen Stadtbetriebe BVG, BSR usw. in „Anstalten öffentlichen Rechts“ überführt wurden und damit auch nicht mehr der Kontrolle des Abgeordnetenhauses unterliegen. Der Verkehrssenator ist aber nach wie vor verantwortlich, da er Vorsitzender des Aufsichtsrates der BVG ist.
Doch vom Autofan Haase und seiner Verwaltung haben die BerlinerInnen seit langem die Nase voll, nicht nur, daß die notwendigen Planungen für den ÖPNV verzögert oder „vergessen“ wurden, auch sonst waren überwiegend nur Einfallslosigkeit und Ignoranz zu spüren.
Da mußten sogar erst wichtige Investoren der Friedrichstraße die Verlängerung der Straßenbahnlinie einfordern, bis der Senator und seine Verwaltung bereit waren, entsprechende Planungen zu beginnen! Hier wird wieder einmal deutlich, daß einige Verantwortliche in Politik und Verwaltung immer noch nicht begriffen haben, daß Standortsicherung, Ansiedlung von Unternehmen und ein intelligentes Verkehrskonzept mit gut ausgebautem ÖPNV und entsprechenden bevölkerungsgerechten Preisen untrennbar zusammengehören. Bei frühzeitiger Einführung einer Parkraumbewirtschaftung in der Innenstadt wäre ein Teil des Geldes für die Modernisierung schon längst zusammengekommen, anstatt es jetzt den Fahrgästen mit überwiegend geringem Einkommen abzuverlangen.
So zeugt die Bermerkung des neuen BVG-Chefs Rüdiger vorm Walde, die BVG sei ein Unternehmen und nicht die Heilsarmee, von Kaltschnäuzigkeit, geht am Kern vorbei und beleidigt alle, die auf niedrige Fahrpreise dringend angewiesen sind. Dem Denken in ausschließlich wirtschaftlichen Dimensionen wie Kostendeckungsgrad und Umsatz muß hier ein ganzheitlicher Ansatz gegenübergestellt werden. Das Leben in der Stadt ist abhängig vom funktionierenden, gut ausgebauten und preiswerten ÖPNV. Vollrad Kuhn
Der Autor ist Bezirksstadtrat für Wirtschaft/Umwelt in Treptow.
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