Stadtgespräch Martin Fritz aus Tokio: Die letzten beiden Pandas verlassen den Zoo von Tokio. Denn China verleiht sie nur auf Zeit und gegen Gebühr. Ihr Abschied erzeugt Wehmut und Zynismus
Seit Weihnachten schieben sie sich in Massen am Doppelgehege der Panda-Zwillinge Xiao Xiao und Lei Lei vorbei. 4.800 Besucher kommen täglich in den Tokioter Ueno-Zoo, um sich zu verabschieden. Die vierjährigen Geschwister reisen im Februar nach China ab, für immer. Dann wird erstmals seit 1972 kein chinesischer Pandabär in Japan mehr zu sehen sein. Wegen eines politischen Streits über Taiwan will China keinen schnellen Ersatz für die tierischen Publikumsmagneten schicken. Im Herzen der japanischen Nation klaffe ein pandaförmiges Loch, trauerte die Wirtschaftszeitung Tokyo Keizai.
Jeder Besucher erhält nur eine Minute für letzte, wehmütige Abschiedsblicke. Enttäuschung ist vorprogrammiert, denn manchmal verstecken sich die knuffigen Tiere in ihrem Waldgehege. Besuchsreservierungen sind online immer sofort ausgebucht, die Zeitfenster bis zum letzten Besichtigungstag am 25. Januar werden verlost. „Das war ein Schock“, kommentierte eine Frau die Nachricht von der Abreise der „Großen Bärenkatzen“, wie die Tiere auf Chinesisch heißen. Ein Mann meinte mit feuchten Augen: „Seit 14 Jahren komme ich wegen der Pandas in den Zoo. Ich bin sehr traurig.“
Die Panda-Zwillinge kamen im Juni 2021 als handtellergroße Winzlinge im Tokioter Zoo zur Welt und wurden mühsam aufgezogen. Bei der Geburt wog der Junge Xiao Xiao nur 124 Gramm und das Mädchen Lei Lei 146 Gramm. Heute bringt Xiao Xiao 85 Kilogramm auf die Waage und Lei Lei 89 Kilogramm. Aber Pandas, einschließlich der im Ausland geborenen Tiere, verbleiben im Besitz des Leihgebers Chinas und kehren dorthin in einem Alter zurück, in dem sie noch gesund und transportfähig sind. Die Zwillingseltern Shin Shin und Li Li traten schon im Vorjahr ihre Rückreise in die Pandaforschungsstation in Chengdu an.
Schon diese Bären rührten das Herz vieler Japaner. Eine Kolumne in der Zeitung Yomiuri zitiert ein Gedicht des Autors Yumu, wonach ein zusammengerollter Panda warm und gemütlich wirke. 2011 hätte das kurz zuvor eingetroffene Pandapaar den Japanern nach der Tsunami- und Atomkatastrophe Trost gespendet. „Ihre Freundlichkeit, die unsere durch die beispiellose Verwüstung erstarrten Herzen beruhigte, bleibt unvergessen.“ Leider habe nun der Countdown zur pandalosen Nation begonnen, endet die Kolumne.
Die chinesische Panda-Diplomatie, die während des Zweiten Weltkriegs mit einer Leihgabe an die USA begann, besteht darin, die weltweit geliebten Bären an andere Länder als „Botschafter“ einer neuen Freundschaft auszuleihen. Diese Praxis, die im Fall von Japan die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Peking und Tokio vor 53 Jahren begleitete, überstand bereits mehrere diplomatische Stürme zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern.
Nun sorgte die Aussage von Japans Premierministerin Sanae Takaichi für eine neue Eiszeit: Japan würde die USA darin unterstützen, Taiwan gegen einen Angriff aus China zu verteidigen. Die ohnehin geplante Rückreise der Pandas wirkt daraufhin wie eine Strafaktion. „Die mögliche erste ‚pandalose‘ Situation in Japan seit 50 Jahren könnte mit (…) den falschen Worten und Taten der japanischen Seite zusammenhängen“, schrieb in China die kommunistische Global Times.
Deswegen trauern auch nicht alle Japaner um den Verlust. Einige kritisierten die auf zehn Jahre befristete Verleihpraxis, die Tiere würden wie Mietwagen behandelt. Andere entlarvten die vermeintliche Geschenkdiplomatie und verwiesen auf jährliche „Mietkosten“ von 550.000 Euro für ein Pandapaar.
Den Großteil davon zahlt Japan für die Arterhaltung nach China. „Die Rückkehr der Pandas nach China ist ein Geschenk des Himmels“, jubelt ein X-Nutzer. Japan sollte mit diesem Geld nun die Inflation bekämpfen. Aber auf der Habenseite steht eben auch ein positiver Wirtschaftseffekt der japanischen Pandaliebe, etwa für Reisen und Souvenirs, von geschätzt 1,6 Milliarden Euro.
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