Sonntags in Schweden: Herr Olsson will mit Menschen reden
Unsere Autorin wohnt auf dem Land, in der schwedischen Kommune Härnösand. Im Dorfladen sorgte eine Innovation kürzlich für Überraschung.

G roße Aufregung am Sonntag: verschlossene Türen beim Dorfladen! „Ich stand mit lauter verwirrten Leuten davor“, erzählt mir Nachbar Olsson, als ich ihn vor der Tür treffe. „Einer meinte, die hätten verschlafen, und einer meinte sauer, dann könnten sie es gleich ganz lassen.“ Er amüsiert sich über die Abwechslung. Aber etwas besorgt ist er auch – was, wenn der Laden pleite ist? An ihm würde es jedenfalls nicht liegen. Er kauft aus Prinzip nur noch dort ein, trotz der höheren Preise.
Sechs lange Jahre mussten sie hier 17 Kilometer zum Supermarkt fahren, nachdem das letzte Geschäft geschlossen hatte. Etwas näher ist es zur kleinen Tankstelle, aber Eier gibt’s da zum Beispiel nicht, wie ich einst herausfinden musste.
Nun, es wurde alles gut. Schon vor einiger Zeit ging das hohe Tempo des Ladensterbens auf dem Land zurück – es waren ja auch nicht mehr viele Läden übrig. Aber in unserer Provinz werden es sogar wieder mehr! Dazu trugen die Frauen bei, die das leer stehende Geschäft vor Ort renovierten und mit einer Art Volksfest neu eröffneten. Alle profitieren, nicht zuletzt diejenigen, die sonst von anderen abhängig sind. Kinder können wieder selbstständig Süßigkeiten kaufen gehen. Und Ältere, die nur noch mit Rollator mobil sind, schaffen die Strecke allein.
Herr Olsson braucht das alles theoretisch nicht, sein Glück an diesem verrückten Sonntag. Er musste noch einmal zurückfahren zur Tankstelle, wo er gerade schon gewesen war, um seine Pferdewetten abzugeben. Nur Tabak hatte er nicht gekauft, das wollte er im Dorf machen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Die Technik hält Einzug
Ich biete an, bei Facebook nachzusehen, wo die Chefin regelmäßig Videos über ihre News und Angebote postet. Und tatsächlich, da ist die ersehnte Erklärung. Zum Glück kein plötzlicher Konkurs, sondern – man denke sich einen Trommelwirbel – unbemannte Öffnungszeiten!
Man müsse lediglich diese App runterladen, erklärt die Chefin strahlend, und diese und jene Daten eingeben. Dann könne man nun bequem einkaufen, wenn kein Personal da ist – morgens von sechs bis zehn, abends von sechs bis elf. Und was wir gerade erleben, ist die Premiere des völlig unbemannten Sonntags.
Das ist natürlich nichts für Herrn Olsson. Er lehnt ja schon die Selbstbedienungskasse im Laden ab und klingelt immer schön das Personal herbei, wenn er zahlen möchte. „Man will doch mit den Leuten reden“, sagt er und geht nach Hause, Pferderennen gucken.
Eine Stunde später klopft es an meiner Tür. „Ich wollte Spülmittel kaufen, aber der Laden hatte zu“, berichtet die Freundin aus dem Haus weiter unten. Im Gegensatz zu den verwirrten Herren entdeckte sie aber direkt ein Plakat, auf dem alles erklärt wurde. Und sie hat sogar einen Mann beim erfolgreichen unbemannten Einkauf beobachtet.
Schwedische Gelassenheit
„Der meinte, es sei ganz einfach“, sagt sie. „Aber für die alten Leute, die es nicht so haben mit der Technik, ist das doch ungünstig.“ Sie, selbst auch Rentnerin, ist nicht abgeneigt. Nur die strengen Regeln findet sie unangenehm: Auf keinen Fall Fremde mit in den Laden lassen! Eventuelle Diebstähle werden dem angelastet, der angemeldet ist! Uff, was ist das für eine Welt, seufzen wir.
Es ist eine Welt, die Versorgung in dünn besiedelten Gegenden erleichtert, meint die schwedische Agentur für regionale Entwicklung. Sie sieht unbemannte Geschäfte als Chance.
Am Montag hat unser Laden jedenfalls wieder richtig geöffnet, und der aufregende Sonntag ist Topthema. Der junge Mann an der Kasse sagt, es sei sogar weit besser gelaufen als erwartet. Ich treffe noch jemanden, der daran keinen Anteil hat. Meiner 84-jährigen Bekannten fehlt die notwendige App für diesen Fortschritt. „Macht nichts“, sagt sie gelassen, „dann muss ich nur Samstag dran denken, auch schon für Sonntag einzukaufen.“
Da fällt mir auf, welchen Vorteil ich als deutsche Fortschrittsmimose habe: Die Kulturtechnik des Wochenendeinkaufs beherrsche ich aus dem Effeff. Sonntags geschlossen, also alles normal.
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