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Stadtgespräch Alexandra Mostýn aus PragIm tschechischen Spätherbst scheint alles möglich – sogar des Präsidenten Wunderheilung

Der Spätherbst steht Prag: Die bunte Dekadenz der fallenden Blätter streicht die Fassaden der Türme und Palais der Kleinseite mit den Farben der Melancholie. Und die Nebel, die abends von der Moldau her die Gassen der Altstadt überfluten, bringen eine gewisse Mystik mit sich. Die Mystik des 16. Jahrhunderts, als der Rabbi Löw unten im Judenghetto seinen Golem formte, während der Habsburg-Kaiser Rudolf II. oben auf dem Hradschin Alchemisten und Astronomen hofierte.

Vielleicht bergen die Herbstnebel, die dieser Tage Abende von der Moldau die Stadt hinaufsteigen, bis sie den Hradschin geheimnisvoll verhüllen, tatsächlich etwas Mystisches, Magisches. Etwas, das wir normal Sterblichen unterhalb der Prager Burg gar nicht erahnen können.

Denn erklären lässt sich das Wunder nicht, das sich in diesem Herbst, genauer gesagt am Samstag, den 4. November, auf dem Hradschin zugetragen hat: Es ist der Tag der wundersamen Heilung des tschechischen Präsidenten Miloš Zeman. Der Tag, an dem „sein Zucker wegging“, wie Zeman Anfang dieser Woche selbst stolz erklärte. Mit einer weiteren fünfjährigen Amtszeit fest im Blick beteuert Zeman, er sei mit einer rüstigen Gesundheit ausgestattet.

Jetzt rätselt Prag eifrig darüber, wie es zu dieser wundersamen Heilung kam. Viele haben für sie allerdings nur Hohn übrig und verspotten den Hradschin nun als „Zemanbad“. Wer weiß jedoch, welcher Geist noch so in den Präsidenten gefahren ist. Der des Edward Kelly, des berüchtigten Hofalchemysten Rudolfs II.? Der des unsterblichen tschechischen Nationalgenies Jára Cimrman? Oder saß Zeman vielleicht gar der Schwejk im Nacken, die Prager Romanfigur?

Um lästigen Fragen im Voraus den Schneid zu nehmen, hatte Zeman auch eine Erklärung parat: Seine Gesundung sei dem Genuss vieler Süßspeisen geschuldet, auf die er derzeit immer mehr Lust verspüre.

Da auch in Prag jeder versteht, dass es wahrscheinlicher ist, dem Geist von Edward Kelly neben dem Veitsdom zu begegnen, als einfach so von Diabetes geheilt zu werden, steckt hinter Zemans Wunderheilung statt Mystik Mystifizierung.

Denn es ist offensichtlich, dass sich die Nebel des Herbstes auch um Miloš Zeman legen. Anfang November konnte sich die ganze Nation live im Fernsehen vom schlechten Zustand ihres Präsidenten überzeugen. Kaum fähig, zu stehen, lehnte er über das mit der Präsidentenstandarte geschmückte Pult, als er Wahlsieger Andrej Babiš mit der Regierungsbildung beauftragt hatte. Mit schwerem Atem und leerem Blick. Eingefallen und vergreist.

Kein Wunder, dass kurz darauf ein Gerücht durch die nebelverhangenen Gassen Prags irrte, dem so mancher in gutem Glauben die Türen öffnete: Miloš Zeman habe Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium und nur noch ein halbes Jahr zu leben.

Die schlimme Diagnose hat sich als Fake News herausgestellt – so wie auch wohl Zemans wundersame Heilung als ebensolche einzuordnen ist. Nur: Der Präsident macht einen solch schlechten Eindruck, dass es niemanden gewundert hätte, wäre das Gerücht wahr.

Nun ist Prag nicht nur die Stadt Edward Kellys und Rudolfs II., sondern auch die Stadt Franz Kafkas und Václav Havels. Hinter ihren mystischen Nebeln verbirgt sich oft das Absurde.

Zemans Vergreisung könnte sich jetzt als Konkurrenzvorteil erweisen. Wenn er sich in zwei Monaten als Präsident zur Wiederwahl stellt, kann er sich im Falle einer Stichwahl mit seinem schärfsten Konkurrenten, dem Expremier Mirek Topolánek, auch der Stimmen seiner Widersacher sicher sein. Denn auch Zemans Gegner sind gespalten, was den Konservativen Topolánek angeht.

Ihre Taktik: Dann lieber noch einmal Zeman – und schließlich ein Staatsbegräbnis und Neuwahlen. Danach, meinen sie, wird die politische Kultur im Land neu erblühen wie die Natur Narnias nach dem Tod der Weißen Hexe in den Romanen von C. S. Lewis.

Der Spätherbst steht Prag einfach. Dieser ist nicht nur mystisch, sondern auch absurd und märchenhaft.

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