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Archiv-Artikel

Stabparkett, Stuckdecken, Steckdosen

Seine Kreaturen sind Fremde auf einem fremden Stern, in ihnen leuchtet das Alltägliche im Absurden auf. Eine Ausstellung und ein neues Buch zeigen die Virtuosität des Cartoonisten Beck

VON REINHARD KRAUSE

Jüngst war er in Urlaub, für ein paar Tage nur, da mussten die Fans seiner Internetseite www.schneeschnee.de auf den täglichen neuen Cartoon verzichten. Aber der Cartoonist Beck wäre nicht der Vollprofi, der er selbstverständlich ist, hätte er nicht aus der Herbstfrische gleich neue Ideen mitgebracht. Die Zeichnung vom vergangenen Sonntag zeigt, dass sich Beck in Bayern aufgehalten haben muss. Und dass das mit der Verständigung keine leichte Sach’ nicht gewesen sein kann. Da sitzt eine Frau am Küchentisch und heult wütend vor sich hin. Auf der anderen Seite des Tisches, in Reichweite der geöffneten Tür, steht ein Mann im Wintermantel mit kleinem Hut auf dem Kopf und schaut aufs Höchste verdattert. Die Frau schimpft schluchzend: „Du gibst Dir mit mir ka’ Müh!“ Dem Mann steigen Denkblasen durch den Hut an die Küchendecke: „Camus?“

Ein Beck in Reinkultur. Der Witz seiner Zeichnung liegt in allem und in gar nichts, möchte man meinen. Die skizzenhaft schnelle zeichnerische Umsetzung könnte man für ungelenk halten, und dass der Mann aus dem Cartoon tatsächlich „Du gibst dir mit mir Camus!“ verstanden haben soll, ist auch nicht eben sehr wahrscheinlich, sondern nur ein mäßiger Kalauer. Und trotzdem funktioniert alles! Ein kleines Wunderwerk.

Natürlich ist alles viel raffinierter, als es zunächst aussieht. Denn natürlich verweist die lebensfremde und absurd komplizierte Reaktion des Mannes – „Camus?“ – auf Albert Camus’ berühmten Buchtitel „Der Fremde“. Und fremd und hilflos stehen sich Mann und Frau auf diesem Bild ja nun wirklich gegenüber. Auch die „Hilflosigkeit“ der Zeichnung ist nur konsequent. Becks Figuren sind Fremde auf einem fremden Stern, wären sie vollendet gezeichnet, sie büßten an Erbarmungswürdigkeit ein, sie würden uns fern sein und lächerlich. Doch genau das sind sie nicht.

Manchmal gestattet sich Beck Ausflüge ins Reich der illustrativen Exaktheit. Seine Zeichnung vom 27. Juli etwa zeigt eine Reihe ungewöhnlich genau gezeichneter riesenhafter Luxusautos auf einem Aldi-Parkplatz. Durch den Mittelgrund trottet ein unscheinbares Paar in gewohnt angedeuteter Ausführung, und er sagt zu ihr: „Die billigsten Läden haben die größten Einkaufswagen …“ Womöglich wären hingekrakelte Autos nicht eindeutig als Luxuskarossen erkennbar gewesen. Eine seltene Gelegenheit für Beck, zu zeigen, dass er auch anders kann, wenn er denn will. Nur will er meist nicht. Zum Glück.

Und das muss er auch gar nicht. Der Meister des Details ist er nämlich auch auf seinen vorgeblichen Husch-husch-Zeichnungen. Besonders gerne zeichnet er Stabparkett, aber auch Stuckdecken, Steckdosen, Lichtschalter, Heizungsrohre, Vorhängeschlösser, ja selbst die Schrauben, mit denen Wandlampen befestigt sind, entgehen seiner erhöhten Aufmerksamkeit nicht. Man muss nur einmal gesehen haben, mit welchem Raffinement ihm konzentriert auf wenige Quadratzentimeter gezeichneter Fläche räumliche Staffelungen von ungeheurer Tiefenwirkung gelingen. In seinen stärker ausgearbeiteten Bildern kann der Betrachter regelrecht spazieren gehen. Im Grunde ist der Welt an Beck ein großartiger Architekt verloren gegangen.

Eindeutige tagesaktuelle Botschaften allerdings und die üblichen Politikerscherze wird man von ihm nirgends finden. Eher schon spöttische Echos auf den Karikaturenstreit. So stapft auf einem Blatt vom 28. September eine Frau vollverschleiert und Lampen zu Boden reißend durch die eigene Wohnung und erklärt ihrem konsternierten Gatten: „Ich versuche, mich dem Islam zu öffnen. Probier’s doch auch mal, Dieter!“ Ein anderer, plumperer Zeichner hätte vielleicht „Verdunkelungsübung“ darunter geschrieben.

Wer mehr von dem 48-jährigen Leipziger sehen will, hat derzeit gleich doppelt die Gelegenheit: Noch bis zum 26. November, jeweils Mittwochs bis Sonntags von 14 bis 19 Uhr, zeigt die Cartoonfabrik in Berlin-Friedrichshain, Krossener Straße 23, in einer Ausstellung hundert Cartoons von Beck. Und im Carlsen Verlag ist jüngst das neue Buch von Beck erschienen (191 Seiten, 14 Euro). Sein wunderbarer Titel: „Am Strand bei Windstärke 12“. Wie schön, wenn sich Urlaube so produktiv auswirken!