Staatsanwaltschaft setzt auf früheren Manager: Endspurt im Siemens-Prozess
Am Montag geht der Schmiergeld-Prozess in die entscheidende Runde. Der Angeklagte Reinhard S. wird für die Staatsanwaltschaft zunehmend zur Schlüsselfigur.
MÜNCHEN taz Drei Wochen war das Landgericht München in Sommerpause, am Montag nun geht es weiter bei der Aufdeckung der "Themen". So heißen im Siemens-Jargon Schmiergeldzahlungen und Schwarzgeldkonten. Und wegen solcher "Themen" ist der frühere Siemens-Manager Reinhard S. angeklagt.
Der 57-jährige Angeklagte hatte zu Prozessbeginn Ende Mai bereits gestanden, mit einem System aus Scheinberaterverträgen Gelder für Schmiergeldzahlungen gesammelt zu haben. Über 50 Millionen Euro will er in schwarze Kassen geleitet haben, vornehmlich in der Schweiz und in Österreich. Dieses geparkte Geld wurde von Bereichsmanagern vor allem im Ausland als Schmiergeld eingesetzt, etwa bei Geschäften mit dem früheren nigerianischen Diktator Abacha.
Einsatzgebiet soll auch Griechenland gewesen sein. S. Angaben zufolge bestach Siemens dort Funktionäre der beiden großen Parteien, um an Aufträge zu kommen. Ein Kollege hätte ihn zudem gebeten mit dem Schwarzgeld eine Detektei zu bezahlen, die sich um zwei störende Betriebsräte kümmerte. Doch der ehemalige Siemens-Direktor S. ist nicht wegen der Anwendung des Schwarzgeldes angeklagt - also nicht wegen der Korruption selbst -, sondern wegen der Beschaffung des Geldes. Veruntreuung von Firmengeldern lautet die Anklage - auch wenn S. wohl im Unternehmensauftrag gehandelt hat und selbst kein Geld eingesteckt hat.
Bis zu fünf Jahre Haft drohen dem gebürtigen Erdinger damit, doch ist zu erwarten, dass das Gericht das Strafmaß deutlich unterbieten wird. Denn der geständige Reinhard S., der seit seiner Lehre bei Siemens arbeitet, ist einer der wichtigsten Schlüssel von Staatsanwaltschaft und Kripo, um den mindestens 1,3 Milliarden Euro tiefen Schmiergeldsumpf bei Siemens aufzudecken. Ende September 2002 hatte S. eigenen Angaben zufolge bei einem Treffen mit insgesamt vier weiteren Siemens-Managern den Spezialauftrag erhalten. Drei Jahre zuvor, im Jahr 1999, war in Deutschland ein Gesetz in Kraft getreten, das Auslandsbestechung verbietet.
Umso vorsichtiger musste das Unternehmen agieren. Vor Gericht bestätigte ein inzwischen arbeitsloser Siemens-Helfer Details der Finanzströme. So hätten die Schwarzgeldtransporteure in der Siemens-Zentrale Schecks bekommen, die sie bei der Dresdner Benk am Promenadeplatz auszahlen ließen. Das Bargeld wurde einmal um den Block getragen, zur HypoVereinsbank in der Kardinal-Faulhaber-Straße, und schließlich nach Innsbruck überwiesen. 20 Millionen Mark seien jährlich auf das Konto in der Tiroler Landeshauptstadt geflossen, das nur eines von mehreren war.
Als die österreichischen Konten ins Blickfeld verschiedener ausländischer Behörden kamen, wurde S. mit der Neuorganisation des Schwarzgeldsystems für die Telekommunikationssparte "Com" beauftragt. Denn nach außen hin wollte der Weltkonzern sauber dastehen. 2004 sollte Reinhard S. eine sogenannte "Compliance-Erklärung" unterschreiben, in der er bestätigte nur legal zu arbeiten. Der Schwarzgeld-Chef weigerte sich und verlangte stattdessen Entlastung in der juristisch zunehmend kniffligen Situation.
Damit wurde der brave Siemensianer zunehmend zu einem Problem für das System. Schließlich entbanden ihn seine Chefs von seinem Posten und statteten ihn mit einem Beratervertrag aus.
Doch der Druck auf S. wuchs weiter - und trotz des Siemens-Angebots, wieder richtig einzusteigen und für den Konzern ins Ausland zu gehen, entschied er sich für ein umfangreiches Geständnis: 38 Aktenordner Material hat S. seit seiner Festnahme am 15. November 2006 den Ermittlern übergeben. Über drei Dutzend Mal wurde er vernommen.
Und das ist erst der Anfang. Gegen 300 weitere Siemensianer wird noch ermittelt, darunter auch vier Vorstände.
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