Staatsanwalt ermittelt gegen Klinik: Einfach abgeschaltet
Ein Patient der Schweriner Helios-Klinik starb, weil es auf der Intensivstation keine funktionierende Notstromversorgung gibt. Die Fachaufsicht schweigt: Sie hat gerade dienstfrei.
HAMBURG taz | Strom weg, Patient tot. Was wie ein abgeschmackter Witz klingt, hat sich im Helios-Klinikum Schwerin am Dienstagnachmittag tatsächlich ereignet. Um 14.26 Uhr starb dort ein 29-jähriger Patient auf der Intensivstation nach einem Herzstillstand. Der Ukrainer war neun Tage zuvor nach einem Arbeitsunfall mit schweren Kopfverletzungen eingeliefert worden.
Er starb, weil sein Beatmungsgerät wegen eines Stromausfalls ausfiel. „Es wird geprüft, ob ein strafrechtlich relevanter Anfangsverdacht auf Fremdverschulden vorliegt“, sagte Stefan Urbanek, Sprecher der Schweriner Staatsanwaltschaft. Die Behörde hat ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet und die Obduktion des Verstorbenen beantragt.
Nach Angaben der Klinikleitung fiel um 13.52 Uhr im größten privaten Krankenhaus Mecklenburg-Vorpommerns und in den umliegenden Wohngebieten der Schweriner Nordstadt der Strom aus. Eine Baufirma hatte bei Erdarbeiten ein Starkstromkabel durchtrennt.
Die Helios-Kliniken-Gruppe gehört zum Gesundheitskonzern Fresenius und betreibt 74 Kliniken.
Stationär werden jährlich rund 780.000 Patienten betreut, es gibt mehr als 23.000 Betten.
43.000 Mitarbeiter sind in der Gruppe beschäftigt, die 2012 einen Umsatz von rund 3,2 Milliarden Euro erwirtschaftete.
Die Helios-Klinik Schwerin ist eines der größten Krankenhäuser Mecklenburg-Vorpommerns. Die Klinik, die seit 2003 zur Helios-Kliniken-Gruppe gehört, verfügt über 1.490 Betten.
Als der Strom ausfiel liefen laut Helios-Sprecher Christian Becker die Diesel-Aggregate der Notstromversorgung „nach weniger als 15 Sekunden an“. Trotzdem habe es in Teilen der Klinik keinen Strom gegeben und neben anderen medizinischen Apparaturen setzten elf Beatmungsgeräte aus. „Die Strom-Weiterleitung auf die Intensivstation hat nicht funktioniert“, so der Helios-Sprecher.
Als die Notstromversorgung anlief, versuchten auch die Schweriner Stadtwerke, die Stromversorgung wieder anzufahren. Dadurch kam es wohl zu „Spannungsspitzen und Netzschwankungen“, sagte Becker. Die Folge waren zahlreiche Kurzschlüsse.
„Zerschossen“ wurde auch ein Steuerungsmodul, das für die Weiterleitung des Notstroms in das Kliniknetz zuständig ist. In der Mitteilung der Klinik heißt es, sie müsse „davon ausgehen, dass externe Netzeinflüsse das Zuschalten dieser Notstromversorgung in das Leitungsnetz der Klinik verhindert haben“.
Auf der Intensivstation wurden neben dem 29-Jährigen noch weitere Patienten künstlich beatmet. Keiner von ihnen erlitt durch den Geräteausfall gesundheitliche Schäden. Eine Oberschwester und ein Arzt versuchten noch, den Ukrainer wiederzubeleben. Eine halbe Stunde nach Beginn des Stromausfalls starb er infolge eines Herz-Kreislauf-Stillstands.
Helios-Sprecher Becker stellt klar, dass die Operationssäle des Klinikums von dem Stromausfall nicht betroffen waren. Dort gebe es eine batteriegestützte „unterbrechungsfreie Stromversorgung“ – eine sogenannte USV. Die Frage lautet nun, warum es nicht auch für die Intensivstation eine entsprechende Notversorgung gibt, wo die Patienten auf das störungsfreie Funktionieren von stromabhängiger Hightech-Geräte besonders angewiesen sind?
„Eine USV ist für die Intensivmedizin nicht vorgeschrieben“, sagt Becker und mit der Notstromversorgung habe es bisher noch keine Probleme gegeben. „Sämtliche Geräte werden regelmäßig von Fachpersonal überprüft, die Anlagen haben bisher einwandfrei funktioniert.“
Nun überlegt man in der Helios-Spitze, ob die USV in Zukunft auch im intensivmedizinischen Bereich zum Einsatz kommen soll. Das sei aber letztlich eine Kostenfrage, da ein solcher Schritt mit umfangreichen Baumaßnahmen verbunden wäre.
Das in Mecklenburg-Vorpommern für den Gesundheitsbereich zuständige Sozialministerium erwartet nun, dass die Klinik sich umfänglich äußert. „Wir haben die Helios-Kliniken am Mittwochmittag angeschrieben und um vollständige Aufklärung des Vorfalls gebeten“, sagt Christian Möller, Sprecher des Sozialministeriums.
Mehr als Bitten kann die Behörde allerdings nicht. „Wir haben nicht die Aufsicht über die hiesigen Krankenhäuser“, sagt Möller. Denn die Fachaufsicht liegt beim Gesundheitsamt Schwerin. Das konnte sich leider bislang noch nicht um den Zwischenfall kümmern. Es hat mittwochs grundsätzlich geschlossen.
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