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Staatsanwalt: „Ich war ein gutgläubiges Kamel“

Weinstaatsanwalt Hickel belastet im Mainzer U-Ausschuß „Pieroth/Glykol“ rheinland-pfälzische Justiz und Ostberliner Stadtrat Pieroth  ■  Aus Mainz Joachim Weidemann

Mainz (taz) - Der Bad Kreuznacher Weinstaatsanwalt Gottfried Hickel (37) hat die Nase gestrichen voll. Zu lange, meint er, habe er geschwiegen zu den merkwürdigen Zufällen im Glykol-Strafverfahren gegen den Pieroth-Konzern: „Ich war ein gutgläubiges Kamel“, bilanziert er. Doch mit der Gutgläubigkeit ist's vorbei: Gestern sagte Hickel vor dem Mainzer Untersuchungsausschuß „Pieroth/Glykol“ aus und belastete sowohl die rheinland-pfälzische Justiz als auch den Ost-Berliner Stadtrat Elmar Pieroth, Hauptinhaber des Pieroth-Konzerns. Hickel wörtlich: „Das ist ein politisches Verfahren im höchsten Grade!“

Für Hickel steht fest: „Man kommt nicht daran vorbei, die Ermittlungen auf Elmar Pieroth auszudehnen.“ Belastet wird der frischgebackene Ostberliner Stadtrat - zuhause „E. P.“ genannt - sowohl durch den Brief eines Hauptbeschuldigten im Pieroth-Verfahren, Werner Klopfer, sowie durch die Aussage eines Pieroth-Weinverkäufers. Beide sagen ihm nach wie vor engste Verbindungen zum Konzern nach, die Pieroth stets geleugnet hatte, sogar vor Gericht.

Hickel, der ob der skandalösen Vorgänge inzwischen seinen Dienst quittierte, war vor seiner Suspendierung im Februar 1990 gerade dabei, die Ermittlungen auf Elmar Pieroth auszudehnen. Er war suspendiert worden, weil er die Räume des Chefs der Mainzer Staatskanzlei, Hennes Schreiner (CDU), durchsuchen wollte.

Die von Justizminister Peter Caesar (FDP) abgeblasene Durchsuchung war aber offensichtlich nur das Ende einer langen Kette von Sonderbarkeiten, die Hickel gestern aufzählte. So wurde der ins Pieroth-Verfahren eingearbeitete Staatsanwalt Haentjes plötzlich vom Weinsonderdezernat abgezogen und „zur Erprobung“ zum Generalstaatsanwalt Ulrich nach Koblenz verbannt. Hickel blieb daraufhin alleine zurück, völlig überlastet mit Ermittlungen und der gleichzeitigen Vorbereitung einer Anklageschrift. Danach legte das langwierige Hickhack um einen Ersatzmann das Verfahren nahezu lahm.

Verdichtet hat sich gestern zudem der Verdacht, daß MitarbeiterInnen in der rheinland-pfälzischen Justiz vorab Ermittlungsschritte an Pieroth-Verantwortliche verrieten:

-So erfuhr Pieroths damaliger erster Kellermeister durch den Personalchef, er könne nicht länger im Keller arbeiten, weil gegen ihn ermittelt werde. Als der Kellermeister fragte, woher die Information stamme, antwortete der Personalchef: „Von ganz oben!“.

-Huber selbst war offenbar ebenfalls auf dem laufenden. Im Juni 1989 schon lud er den Mitbeschuldigten Strehl zu sich nach Hause ein. Gesprächsthema: Strehl müsse mit seiner Verhaftung rechnen. Haftbefehle aber waren laut Hickel zu jener Zeit nur justizintern diskutiert worden. Hickel vor dem Ausschuß: „Als ich davon erfuhr, wurde mir dezidiert unwohl“.

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