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Staatsanwälte haben neue FälleNazi-Jäger wieder fündig

Der Demjanjuk-Prozess ist nicht der letzte NS-Verbrecherprozess. Deutsche Ermittler haben neue Fälle aufgespürt.

Marschieren mit dem Hakenkreuz: Nazis 1935 in Nürnberg. Bild: ap

BERLIN taz | Die deutsche Justiz hat neue Fälle von Naziverbrechen im Visier. Nach einem Bericht der sonntaz unersucht die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg rund 20 Fälle. Bei der Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen sind in Dortmund etwa zehn Fälle in Arbeit, wie die Behörde mitteilte.

Unter den zur Entscheidung für einen Prozess anhängigen Fällen befinde sich ein mutmaßlicher NS-Kriegsverbrecher, der in den USA lebt, sagt der Chef der Ludwigsburger Ermittler, Kurt Schrimm, der sonntaz. Im vergangenen Jahr war mit John Iwan Demjanjuk erstmals ein Mann wegen möglicher Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland abgeschoben worden. Vor dem Münchner Landgericht findet derzeit der Prozess gegen Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 27.900 Fällen statt. Damals war häufig davon die Rede, dass dies der letzte Prozess wegen eines NS-Verbrechens sein könnte.

"Wir haben noch einiges vor – in diesem Jahr und in den nächsten. Da sind sehr erfolgversprechende Ansätze dabei“, sagt dagegen der Ermittler Schrimm. Die Justiz prüft in zwei Fällen bereits, ob sie demnächst Anklage erhebt. Die Staatsanwaltschaft München I untersucht nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft, ob gegen den 89-Jährigen John Kalymon ein hinreichender Tatverdacht besteht. Kalymon, der in Troy im US-Bundesstaat Michigan lebt, soll 1942 in Lemberg als ukrainischer Polizist mindestens einen Juden eigenhändig erschossen haben.

Bild: taz

Die Reportage lesen Sie in der aktuellen sonntaz - am 27. und 28. Februar gemeinsam mit der taz am Kiosk erhältlic.

Die US-Justizbehörden haben ihm im Jahr 2007 die US-Staatsbürgerschaft entzogen und wollen ihn abschieben. Ob Deutschland den Mann, der seine Schuld bestreitet, einreisen lässt, hängt allerdings davon ab, ob eine Verurteilung wahrscheinlich erscheint. Denn andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Betroffene seinen Lebensabend in einem bundesdeutschen Altersheim verbringt, ausgestattet mit deutscher Sozialhilfe. Deutschland wolle alles, nur kein "safe haven" für NS-Kriegsverbrecher werden, sagt ein Sprecher des Außenministeriums in Berlin.

Die Staatsanwaltschaft Dortmund überprüft in Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen eine Anklagerhebung gegen den deutschen Rentner Samuel K. Der bei Bonn lebende 89-Jährige frühere Bundesbeamte soll 1942/43 am Mord von mehreren hunderttausend Juden im NS-Vernichtungslager Belzec im deutsch besetzten Polen beteiligt gewesen sein.

In seiner sonntaz-Reportage beschreibt Autor Klaus Hillenbrand die Fälle und schildert die schwierige Ermittlungsarbeit der Staatsanwälte, die das Grauen rekonstruieren und dabei gegen die Zeit arbeiten müssen: Um die greisen Männer vor Gericht zu bringen, so lange es noch geht.

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11 Kommentare

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  • V
    vic

    Ich hoffe die Ludwigsburger Spürnasen kriegen sie noch alle.

    Das wurde lange genug vernachlässigt, bzw. "vermutlich" von höchster Stelle verhindert.

  • M
    max

    liebe taz,

    ich bewundere dich, für deinen hohen anspruch an die meinungsfreiheit in deinen eigenen kommentarspalten. was hier an relativistischen widerlichkeiten abgelassen wird, ist kaum zu ertragen.

    zum alter der gesuchten und der verhältnismäßigkeit von strafen in diesem alter muss ich immer an die worte eines demjanjuk-opfers denken: "für mich wäre es eine genugtuung, wenn er nur einen tag im gefängnis verbringen würde." es geht hier auch nicht zuerst um die bestrafung, sondern um die feststellung der verbrechen und deren zuordnung in den verantwortungsbereich konkreter menschen (und nicht nur "den nazis").

     

    und für euch geschichtskenner:

    ihr könnt ddr und naziherrschaft gleichsetzen, wenn ihr die massengräber hinter den ddr-kzs ausgegraben und der ddr den eroberungskrieg mit millionen opfern nachgewiesen habt. bis dahuin solltet ihr anerkennen, dass zwei dinge nicht deshalb gleich sind, weil sie beide unter den oberbegriff "unrecht" passen.

  • MS
    M.Buikis, SED-Opfer

    NS-Verbrechen wird es auch weiter geben, die Aufarbeitung ist leider schleppend, die Bastien sind immer noch unter uns, es ist eigentlich schon eine Beleidigung der Millionen Opfer gegenüber. Die NS-Diktatur war eine der größten in der Geschichte des Menschen, aber vergessen sollten wir nicht in diesem Zusammenhang die Rote Diktatur in der Zone/SED-Junta, beiden Diktaturen sind vergleichbar und diese Täter der Ulbricht-Junta sind weiter auf freien Fuß und werden von unseren Rechtsstaat mit üppigen Pensionen versorgt für uns SED-Opfer, ehemalige politische Häftlinge eine Beleidigung, das nach zweier Diktaturen in Deutschland im Rechtsstaat die verübten Verbrechen belohnt und von den Bundesregierungen mit üppigen Pensionen gewürdigt werden, aber wir SED-Opfer als Bittsteller behandelt werden, das bezieht sich auch auf die Täter der NS-Diktatur unser Rechtsstaat hat aus beiden Diktaturen keine Lehren gezogen, das ist die Bilanz der Feststellung aus der NS-Diktatur und der SED-Diktatur.

  • KW
    Knappik, Wilhelm

    Die mirneue Sache mit dem deutschen Rentner Samuel K.

    ist interessant. Wer kennt Details ? (z.B. den Nachnamen)

  • J
    james

    ein guter film zur ludwigsburger zentralstelle:

    "das geheimniss der orangenkisten"

    http://www.orangenkisten.de/

  • J
    Jens

    In diesem vorbildlichen deutschen "Rechtsstaat" werden 90 jährige Greise vor Gericht gezerrt um einen Show- Prozess durchzuführen, während die englischen und amerikanischen Kriegsverbrecher Denkmäler für ihre Greueltaten bekommen. Selbst ein israelisches Gericht hatte ihn nach rund 7 Jahren Haft freigelassen, weil es sich in seinem Fall um einen Irrtum handelte.

    Aber in diesem verkommenen System gibt es anscheinend nur deutsche Täter(bzw. deren Helfer)...

    Die Art und Weise, wie hier mit zweierlei Mass gemessen wird ist abstossend und indiskutabel. Man bekommt das Gefühl, das mit solchen "Prozessen" von wirklichen, aktuellen Problemen abgelenkt werden soll.

     

    Dieser Verfolgungswahn der hier ausartet, wird von Jahr zu Jahr manischer und ist für den aussenstehenden Betrachter ein absurdes Theater. Er ist deshalb absurd, weil er einseitig ist und die unmenschlichen Massaker am Deutschen Volk ausser acht lässt. Es gibt keine guten und schlechten Opfer, Unrecht bleibt Unrecht!

  • PW
    Peter Wenner

    Wo bleiben die Erfolge der Stasijäger?

     

    Achja so etwas gibt es ja nicht...schade eine Entstasifizierung der Gesellschaft wäre auch sinnvoll gewesen.

     

    Um beim Thema zu bleiben ich bin froh dass solche Verbrechen nicht verjähren und diese Menschen noch für ihre Taten unter dem Hakenkreuz bezahlen werden.

  • MM
    Marcel M.

    "Safe Haven"?

     

    Da ist dann wohl eher der "Safe Harbour" gemeint, oder!? Man kann auch einfach sicherer Hafen sagen, ist ja auch im anglo-amerikanischen Rechtsraum ein normaler Begriff.

  • SV
    Schlechter Vergleich

    Also ich will ja nicht zynisch klingen, aber: "seinen Lebensabend in einem bundesdeutschen Altersheim verbringt, ausgestattet mit deutscher Sozialhilfe" - eine Gefängnisstrafe ist von diesem Szenario nicht so weit von weg...

    Gerne würde ich es ja sehen wenn auch mal jemand mit deutschem Pass angeklagt wird, unwahrscheinlich das die alle schon Tod sind.

  • M
    Marinerichter

    Wenns nicht so eine schande wäre, wie wir die letzten 60 jahre mörder, schänder und altnazis im allgemeinen bei uns gedeckt haben, könnte man über den artikel und die versuche der staatsanwaltschaft, hier zum ausgang der chose noch einmal zero-tolerance zu zeigen um den leuten einen vorzugaukeln, drollig lachen.

     

    mfg

     

     

    p.s. damit meine ich keine ritterkreuzträger, die zum radiostar wurden oder adi-kumpel mit jährlichem ehrenbambi-abo.

  • A
    avelon

    Stichwort Ent-Nazifizierung ...

     

    Waren es nicht die westlichen Allierten- und Siegermaechte, die es den Nazis so einfach machten, per Unterschrift, in hohen Posten der neu gegruendeten BRD weiterhin ´Dienst am Staat´ zu leisten?

     

    Weiterhin ist es eine Kuriositaet, daß erst nach so viel Jahrzehnten die ´Bestien´ gejagt werden.

     

    Wer oder was stand dem entgegen, jene nun Beschuldigten nicht bereits in den 50er Jahren zu suchen?