: Staatsanwälte glauben nicht mehr an einen Nazi-Überfall
■ Rollstuhlfahrerin wird morgen vernommen
Halle (AFP/taz) – Die behinderte Schülerin aus Halle, die den von ihr angezeigten Nazi-Überfall nach Ansicht der Staatsanwaltschaft selbst fingiert haben soll, wird morgen erstmals zu diesem schweren Vorwurf befragt werden. Wie der ermittelnde Staatsanwalt Klaus Wiechmann am Samstag mitteilte, liegt den Justizbehörden kein Geständnis der Siebzehnjährigen vor. Das Mädchen sei noch nicht direkt mit dem Verdacht konfrontiert worden, weil sie die Stadt schon verlassen hatte, als der Verdacht sich erhärtete, erklärte ein Polizeisprecher. Die Staatsanwaltschaft war nach viertägigen Ermittlungen am Freitag zu dem vorläufigen Ergebnis gekommen, daß sie den Skinhead-Überfall erfunden und sich das Hakenkreuz selbst ins Gesicht geschnitten haben muß.
Die Eltern, mit denen am Samstag über einen Rechtsanwalt Kontakt aufgenommen wurde, hätten sich „entsetzt“ über das Ermittlungsergebnis geäußert, sagte Wiechmann. Ob gegen die Schülerin wegen Vortäuschung einer Straftat juristisch vorgegangen werden soll, werde noch geprüft. Dabei sollten aber Alter, Gesundheit und psychischer Zustand der Schülerin berücksichtigt werden.
Der Justizminister von Sachsen-Anhalt, Walter Remmers (CDU), rief dazu auf, diesen Fall nicht als Entwarnung zu betrachten. Das Engagement gegen Gewalt und für den Schutz von Minderheiten bleibe „nach wie vor richtig und hochaktuell“. „Unabhängig von der Entwicklung eines Einzelfalles“ werde es in Sachsen-Anhalt kein Nachlassen bei der Bekämpfung rechtsextremistisch motivierter Straftaten geben.
Sollte die Staatsanwaltschaft recht behalten, wäre dies kein Einzelfall. Im November 1992 hatte sich eine vierzehnjährige Schülerin aus Sachsen ebenfalls ein Hakenkreuz in die Wange geschnitten und zwei Skinheads beschuldigt. Im August 1993 wurden in Nordrhein-Westfalen zwei angeblich rechtsradikale Anschläge bekannt, die von den Opfern oder ihren Angehörigen selbst begangen wurden.
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