: Staatliche Schnüffler überflüssig
■ Ein Jahr parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes: AL fordert, daß Innensenator Pätzold personelle Konsequenzen zieht und dem „anachronistischen“ Amt Etat und Stellen gestrichen werden
West-Berlin. Auch nach einem Jahr parlamentarischer Kontrolle des Verfassungsschutzes werden in dem Dahlemer Landesamt „Schlüsselstellungen“ von Mitarbeitern besetzt, die für die „Fehlentwicklungen“ (Überwachung der AL, der taz, Verstrickungen im Mordfall Schmücker) verantwortlich gewesen sein sollen. Dies bemängelte gestern die Alternative Liste (AL) bei einer „Bilanz„-Pressekonferenz. Die Koalitionspartei fordert Innensenator Erich Pätzold (SPD) auf, die Verantwortlichen „endlich zur Rechenschaft“ zu ziehen.
Weiter will die AL, daß im Haushaltsjahr 1991 der Etat der staatlichen Schnüffler von etwa 20 Millionen Mark zusammengestrichen und die etwa 300 Stellen um ein Drittel gekürzt werden. Die Fraktionsvorsitzende Renate Künast begründete die geforderten Einsparungen mit der politischen Lage (Ost-)Europas. Ein Verfassungsschutz, der haupt sächlich vor einer „kommunisti schen Unterwanderung“ warnen sollte, sei jetzt ein „Anachronis mus“.
Darüber hinaus haben die AL-Abgeordneten in dem Jahr Kontrollarbeit feststellen müssen, daß die Geheimdienstbehörde bei ihrer selbstdefinierten Aufgabe, als „politisches Frühwarnsystem“ und „Instrument der Politikberatung“ zu fungieren, vollends versagt habe. „Angeforderte Arbeitsberichte bleiben allgemein und oberflächlich“, kritisierte die sicherheitspolitische Sprecherin, Lena Schraut.
Mitarbeiter des Landesamtes, die zum großen Teil von der Polizei kommen, seien mit politischen und gesellschaftlichen Analysen „überfordert“. Die AL sehe sich deshalb in ihrer Forderung nach Abschaffung des Amtes voll bestätigt. Politische Analysen sollten die dafür ausgebildeten MitarbeiterInnen der Freien Universität oder die Landeszentrale für politische Bildung leisten. Künast bemängelte, daß die Verfassungsschützer nicht nur unfähig seien, sondern bei der parlamentarischen Kontrolle „mauern“. Die Kontrollarbeit bezeichnete sie deshalb als „Kontrollversuch“: „Wir stochern mit der Stange im Nebel, treffen aber mal auf eine Leiche.“
Als Erfolg wertete die AL, daß durch die Koalition die Akteneinsicht und -auskunft für Bürger in Berlin (als einzigem Bundesland) möglich geworden sind. Unter anderem ist auch die Weitergabe von Informationen von Polizei und Staatsanwaltschaft an das Amt eingeschränkt worden. Für die weitere Arbeit des subventionierten Schnüffeldienstes seien „strenge Gesetze“ in Vorbereitung.
Die Untersuchung des „Falls Lummer“ ist beendet und ein Abschlußbericht in Arbeit. Im wesentlichen würden die Kontakte des ehemaligen CDU-Innensenators zum Staatssicherheitsdienst der DDR bestätigt. Nachträglich ist gegen den damaligen Amtsleiter Franz Natusch ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden: Die Vertuschungsabsichten des Chefschnüfflers im Fall Lummer gelten als erwiesen.
Dirk Wildt
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