Srebrenica-Genozid vor Gericht: Niederlande haftbar für Morde
Ein Berufungsgericht in Den Haag erklärt die niederländische Regierung mitverantwortlich für den Tod dreier Bosnier beim Massaker von Srebenica.
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AMSTERDAM taz | Der niederländische Staat ist für den Tod dreier bosnischer Muslime verantwortlich, die während des Massakers der bosnisch-serbischen Armee in Srebrenica ermordet wurden. Zu diesem Urteil kam am Dienstag ein Berufungsgericht in Den Haag.
Es bestätigt damit erstmals die Mitverantwortung der niederländischen Regierung am Tod eines Teils der rund 8.000 bosnischen Muslimen im Juli 1995. Das niederländische Blauhelm-Kontingent, bekannt als "Dutchbat", sollte im Rahmen der UN-Friedensmission die Zivilbevölkerung der muslimischen Enklave schützen.
In dem Prozess, der bereits 2002 begann, geht es um die Ermordung dreier Männer durch bosnisch-serbische Truppen. Diese hatten am 13. Juli, zwei Tage nach dem Fall der belagerten Stadt, auf dem Gelände der niederländischen Blauhelmtruppen Zuflucht gesucht, waren aber von den Soldaten weggeschickt worden. Einer der Männer stand als Elektriker im Dienst der UN-Truppen, die anderen beiden waren Familienmitglieder eines Übersetzers, der ebenfalls für die Niederländer arbeitete. Der Übersetzer sowie Angehörige des Elektrikers reichten später Klage gegen die Niederlande ein.
Das Urteil ist ein Novum: Nie zuvor wurde der niederländische Staat für den Genozid von Srebrenica juristisch verantwortlich erklärt. 2008 wies der Gerichtshof in Den Haag die Klage in erster Instanz ab, da das Oberkommando der Mission allein den Vereinten Nationen unterstanden habe. Das Berufungsgericht sieht es nun als erwiesen an, dass die Operation durchaus unter Kontrolle Den Haags gestanden hat – so bei der Evakuierung des Dutchbat-Quartiers.
Berufung wahrscheinlich
In der Urteilsbegründung heißt es, die Soldaten hätten gewusst, dass den Muslimen die Ermordung von der bosnisch-serbischen Armee drohte. Dass sie die Männer dennoch wegschickten, verstoße zudem gegen den UN-Auftrag.
"Die Teilnahme an einer Friedensmission bedeutet nicht länger, alle Verantwortung abschieben zu können", kommentierte Liesbeth Zegveld, die Anwältin der Kläger. Das Verteidigungsministerium kündigte an, das Urteil zu prüfen. Eine Berufung vor dem Obersten Gerichtshof gilt als wahrscheinlich.
David Barnouw, Sprecher des Instituts für Kriegsdokumentation, sagte, dieses Urteil bedeute nicht das Ende des Prozesses. Angesichts der mehr als 200 Schutzsuchenden auf dem Dutchbat-Gelände sei von einem "Schneeball-Effekt" auszugehen. Sollte das Urteil bestätigt werden, müssten die Niederlande den Angehörigen eine Entschädigung zahlen.
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