Spürpanzer zu Kunstobjekten

Die Nazis und die NVA reparierten hier Panzer: Jetzt arbeiten Künstler in der einstigen Kaserne bei Groß-Glienicke. Doch der Atelierhalle droht das Aus: Sie soll einer Siedlung weichen. Die Politik lobt die Kreativen; aber retten will sie sie nicht. Denn das Areal liegt mitten zwischen Berlin und Brandenburg

VON NINA APIN

Licht fällt in Bündeln durch die hohen Hallenfenster und lässt den Staub tanzen. Aus dem Betonboden wächst ein Wald aus Baumstämmen: Manche roh und unbehauen, andere zu groben Körpern und Gesichtszügen gekerbt. Dahinter erhebt sich eine Mauer aus chaotisch aufeinandergeschichteten weißen Bauelementen, der Rest der Halle ist leer. Wo man den Boden erkennen kann, ist er durch akkurat gezogene Linien in Rechtecke aufgeteilt. Carsten Hensel bleibt in der Raummitte stehen und dreht sich langsam um die eigene Achse: „Hier arbeitet der Bildhauer Lothar Seruset an der nächsten Ausstellung, da stehen Reste meiner letzten Installation, und dort parkten früher die Panzer der NVA zur Reparatur.“

Hensel ist geübt darin, Besucher durch die ehemalige Panzerhalle zu führen, in der jetzt Künstler arbeiten. Der Schlaks mit den grauen Schläfen ist nicht nur Performancekünstler, sondern auch Pressesprecher der 20 Menschen, die seit zehn Jahren in einer ehemaligen Kaserne bei Groß-Glienicke das „Atelierhaus Panzerhalle“ betreiben. Das Künstleridyll im Wäldchen, durch Ausstellungen und Aktionen auch außerhalb Brandenburgs bekannt, hat einen Sprecher so nötig wie nie zuvor. Dem Atelierhaus droht das Aus: Die Eigentümerin des Geländes, die Berliner Wohnungsgesellschaft Gewobag, hat den Künstlern zum 30. Juni gekündigt. Sie will die in den 30er-Jahren erbaute Panzerhalle abreißen und auf dem Exmilitärgelände 550 Ein- und Mehrfamilienhäuser bauen.

Schon lange ein Ort für Investorenträume

Wenn die Sprache auf die Investorenpläne kommt, verliert Carsten Hensel die Ruhe. Erregt stößt er die Metalltür der Halle auf und deutet auf die flachen, braunen Kasernenriegel gegenüber, in denen jetzt das brandenburgische Umweltamt sitzt: „Können Sie mir sagen, wo man hier Einfamilienhäuser hinsetzen soll?“ Die verbliebenen Mannschaftsunterkünfte der „Kaserne Waldsiedlung“ westlich des Flughafens Gatow – der ebenfalls von den Nazis erbaut wurde – stehen unter Denkmalschutz, auch die heruntergekommene „Preußenhalle“ nebenan, die der Groß-Glienicker Karnevalsverein derzeit für seine Feste nutzt. Nur die Panzerhalle selbst nicht.

Dass sie jetzt abgerissen werden soll, ist nur eine von vielen Absurditäten an diesem Ort, an dem Investorenträume Tradition haben. Bereits 1991 wollte die Treuhand aus dem ehemaligen Sitz der Grenztruppen der Nationalen Volksarmee (NVA) eine Wohnsiedlung für zugezogene Bundesbeamte machen. Die Gewobag kaufte das 700.000 Quadratmeter große Gelände und riss erst mal einige Gebäude ab, um Platz zu schaffen – dann aber intervenierte der Denkmalschutz. Aus dem Großvorhaben wurde nichts, die Beamten hatten sich längst anderswo niedergelassen. Das Kaserne Waldsiedlung – direkt an der ehemaligen Grenze zwischen sowjetischem und britischem Sektor – blieb ungenutzt.

Doch die Gewobag gibt ihre Pläne nicht auf. Die Künstler sollen ausziehen – obwohl weit und breit kein Investor in Sicht ist und ein Atelierhaus am Waldrand keine große Belästigung darstellt. „Die Kündigung ist reine Willkür“, schimpft Hensel.

Beim Rundgang durch das zweistöckige Gebäude lässt der Künstlersprecher keine Gelegenheit aus, zu demonstrieren, wie gut die KünstlerInnen die 500 Quadratmeter nutzen: als Werkraum mit Oberlicht, für raumgreifende Installationen, für die jährlichen Gemeinschaftsausstellungen – „üppig besucht, trotz der Lage“.

Stolz wie ein Hauseigentümer zeigt Hensel die alten Mannschaftsduschen – original DDR-gekachelt, funktionstüchtiger Boiler – sowie die Büros und Lagerräume, die jetzt Einzelateliers sind. Viele der KünstlerInnen kommen aus dem Umfeld der Berliner Universität der Künste (UdK), im Haus mischen sich Wessis und Ossis, Berliner und Brandenburger. Manche nutzen die Räume als Rückzugsort, andere engagieren sich für die Gemeinschaft und sind im Förderverein aktiv, so wie Hensel. Der 49-jährige gebürtige Braunschweiger studierte an der Westberliner HdK und zog vor Jahren aus Schöneberg nach Groß-Glienicke. Im Vorbeigehen zeigt er sein eigenes Reich – eine Requisitenkammer voll geheimnisvoller Objekte – und vergisst dabei nicht, auf die von den Mietern geleisteten Instandsetzungsarbeiten hinzuweisen.

Vom Aufsichtsraum im ersten Stock aus überblickt man die luftige Halle mit ihren schlanken Stützpfeilern. Hensel zeigt den noch funktionstüchtigen Reparaturkran und die „Katze“, ein Lastfahrzeug, das unter der Decke entlangfährt. „Äußerst praktisch für die Ausstellungstechnik.“ Die Rechtecke auf dem Boden, erklärt er, sind Parkplatzmarkierungen für die Spürpanzer, die aus den Reparaturgräben heraus repariert wurden. Eine stabile Architektur: Schon die Nazis warteten hier ihr Kriegsgerät, später die NVA und für eine kurze Zeit die Bundeswehr. Jetzt tragen die Gräben zum besonderen Flair des Hauses bei.

Auf dem Flur gegenüber hat sich Elisabeth Schwarz mit ihren großformatigen Bildern eingerichtet. 2003, noch während ihres Studiums an der UdK, bezog sie das Atelier, das für sie noch heute „ein luxuriöser Arbeitsplatz“ ist: lediglich 66 Euro Betriebskosten, Ruhe zum Arbeiten und eine aktive Gemeinschaft. Die 39-jährige Berlinerin schätzt den produktiven Austausch innerhalb des Ateliers, die gemeinsam erarbeiteten Kataloge und Vernissagen, das dichte internationale Netzwerk. An der Ausstellung „Sektor Panzerhalle“ zum zehnjährigen Bestehen wirkten italienische, israelische, schweizerische, niederländische und amerikanische KünstlerInnen mit. Die Mitgliedschaft im Förderverein ist nicht Pflicht – dafür zahlen alle Nutzer im Monat 11 Euro in einen „Gebäudeinstandsetzungsfonds“.

Trotzdem engagieren sich die meisten für den Atelierstandort Panzerhalle. Nicht nur weil sie ihre billigen und schönen Räume behalten wollen. Arbeiten könnten sie auch in einer der benachbarten Garagen oder einem anderen Ausweichquartier. Was ihnen am Herzen liegt, ist der Erhalt der abgeschiedenen Halle, die 1992 von ein paar Studentinnen der HdK entdeckt wurde und die Carsten Hensel heute ein „Juwel“ nennt.

Außen Graffiti, innen riesige Skulpturen

Nur von außen ist es ein recht ungeschliffenes Juwel: Verrostete Stahlträger, Graffiti, dreckige Scheiben. Am hinteren Teil, den der Vermieter den Künstlern nicht gönnen wollte und gegen jede Nutzung versiegelt hat, sind alle Fenster eingeschlagen. Was die KünstlerInnen mit ihrer Präsenz leisten, ist auch ein ständiger Kampf gegen Verwahrlosung und Vandalismus. Zumindest die Beamten des Umweltamts wissen das zu schätzen: Sie kommen oft in der Mittagspause vorbei, um zu sehen, was sich in der Künstlerhalle tut.

In den umliegenden Gemeinden ist die kleine Künstlerkolonie weitgehend akzeptiert, mit den Jahren haben sich Kontakte entwickelt und Ausstellungen in den Dorfkirchen von Kladow und Groß-Glienicke ermöglicht. Jetzt soll bald Schluss mit dem Malen, Bildhauern und Netzwerken sein – dass in Berlin Kunst längst als anerkannter Standortfaktor gilt, hat sich draußen, an der ehemaligen Sektorengrenze zwischen Kladow (West) und Groß-Glienicke (Ost), noch nicht herumgesprochen. Die „Waldsiedlung“ liegt noch immer dazwischen.

Deshalb fühlen sich auch die Politiker, die sich in allgemeinen Worten für den Erhalt des Atelierhauses aussprechen, nur ein bisschen zuständig. Die brandenburgische Kulturministerin Johanna Wanka (SPD) nennt das Atelierhaus zwar einen „kulturellen Höhepunkt“ ihres Landes – kümmern sollte sich aber Berlin, wo die Vermieterin Gewobag sitzt.

In Berlin verweist man darauf, dass die Panzerhalle auf Brandenburger Boden liegt. Zwar ließen sich letzte Woche Exkultursenator Thomas Flierl und der brandenburgische Kulturpolitiker Gerd-Rüdiger Hoffmann (beide Linkspartei) vor Ort sehen, doch keiner der Entscheidungsträger mag Leidenschaft aufbringen für eine alte Halle im Niemandsland zwischen dem „Kulturland Brandenburg“ und der „Hauptstadt der Kreativen“.

Einstweilen muss die Kunst, die im Nirgendwo entstanden ist, zurück in die Stadt, um ihre Existenz zu rechtfertigen. „War was?“ hat Carsten Hensel in fetten schwarzen Buchstaben auf eine Wand im Gebäude der UdK an der Hardenbergstraße gemalt, wo gerade die Ausstellung „Sektor Panzerhalle“ stattfindet. Hoffentlich muss man sich das nicht demnächst beim Durchqueren eines mit gesichtslosen Bauten vollgeklatschten Geländes bei Groß-Glienicke fragen.

Ausstellung „Sektor Panzerhalle“ bis Donnerstag in der Universität der Künste in der Hardenbergstraße