: Springer steigt ins Grossisten-Geschäft ein
Kartellrechtlich bedenkliche Nebenbeschäftigung: Grossisten erfreuen sich eines Gebietsmonopols / Vorgängerunternehmen im Mannheimer Raum wurde ausgetrocknet / „Vertikale Pressekonzentration“ befürchtet / Interesse für Beteiligungen besteht auch bei Bauer und Gruner+Jahr ■ Von Heinz Colligs
„Es könnte sich herausstellen, daß es sich auch um ein verbotenes Kartell handelt“, kommentierte Dr. Kurt Stockmann die jüngste Entwicklung im bundesdeutschen Pressevertrieb. Dr. Stockmann sitzt in der 6. Beschlußkammer des Bundeskartellamtes. Seine vorsichtige Formulierung zielt auf Springers Tochtergesellschaft PVP, die „Pfalz Pressevertrieb GmbH & Co. KG“. Seit Monatsanfang erhalten in Mannheim und der Pfalz Kioske und Presse-Einzelhändler ihre Zeitschriften und Zeitungen von ihr. „Zumindest wettbewerblich bedenklich“ halten die Hüter des Marktes diese Aktivitäten des Verlagsriesen im Presse-Großhandel: Ausgestattet mit „gewachsenen Gebietsmonopolen“ sorgten bisher etwa 80 mittelständische verlagsunabhängige Presse-Grossisten für die gleichmäßige Verteilung aller Presseerzeugnisse.
Die PVP hat das Erbe des zeitgleich in Konkurs gegangenen Pfaadts Presse-Grosso in Mannheim angetreten. Um Beteiligungen bei der reinen Springer-Tochter wird zur Zeit in Hamburg noch gepokert. Bauer und Gruner+Jahr wollen sich am Kreis der PVP-Taufpaten beteiligen – eine exklusive Versammlung, die fast drei Viertel des Umsatzes bei den Großhändlern bestreitet. Ohne sie kann jeder Grossist einpacken. Daß sich die Verlage bis auf ein zelne kleine Beteiligte bisher aus dem Großhandel heraushielten, hatte seine guten Gründe, meinen unisono Bundesverband der Presse-Grossisten und Kartellamt: Presse-Großhändler verfügen über ein allseits akzeptiertes Monopol in ihrem Auslieferungsgebiet. Für dieses exklusive Recht stehen sie in der Pflicht. Kleine Verlagen müssen von ihnen genauso betreut werden wie die Großen der Branche, auch wenn bei diesen mehr Umsatz zu machen ist. Das Monopol ermöglicht den Großhändlern eine Mischkalkulation. Nur deshalb findet der Leser auch Alternativen zu Bild, Stern, Spiegel oder Neue Revue am Kiosk. Daß ein „verlags eigener“ Großhändler diese Pflicht verletzt, wird in Branchenkreisen nicht angenommen. Befürchtungen, durch Manipulationen beim Vertrieb zu kurz zu kommen, oder daß Vertriebsdaten über Konkurrenz-Zeitschriften in falschen Händen landen könnten, machen aber die Runde.
Die Neutralität der PVP steht für das Haus Springer jedoch außer Frage. „Wir haben nur aus Not gehandelt. Der Vertrieb nach dem Zusammenbruch der Vorgängerfirma mußte sichergestellt werden“, so Springer-Verantwortlicher und Interims-Geschäftsführer der PVP, Gerd Leilich. Überrascht hatte diese neue Aufgabe die Vertriebsleiter der Ver lagsriesen aber keinesfalls. Gruner+Jahr, Bauer und Springer hatten nacheinander innerhalb von drei Tagen der PVP-Vorgängerin zum 30.April gekündet. Den eiligen Vorreiter, der sein Aus per Fernkopierer schickte, spielte am 15.Januar Gruner+Jahr. Hier hatte man ein gestörtes Vertrauensverhältnis zum Geschäftsinhaber Horst Geier bemerkt. Diesen hatte am 12.Januar das Landgericht Mannheim wegen Steuerhinterziehung in Höhe von neun Millionen Mark zu fünf Jahren Haft verurteilt. „Mit dieser Begründung zu kündigen ist möglich, aber nicht zwangsläufig“, meint der inzwischen als Sequestor für Pfaadts eingesetzten Mannheimer Rechtsanwalt Klaus Friedel. Immerhin hätten die betrogenen Finanzbehörden einen Abzahlungsmodus mit dem verurteilten Inhaber Horst Geier vereinbart, der nicht zu Lasten der Firma gehen sollte.
Überrascht hatte die Herren im Hause Springer allerdings, daß ihre Tochter PVP nicht sofort und erst im Mai in die Fußstapfen des geschaßten Grossisten treten mußte. Dafür sorgte die Hausbank des verurteilten Großhändlers, die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank. Zehn Tage nach der ersten Kündigung sperrte sie dem Großhändler ohne Großkunden den Kreditrahmen. Der Gang zum Konkursrichter war nicht mehr abzuwenden. Warum Springer mit einer eigenen Tochter das von ihm mitgeschaffene Vakuum füllt, kann sich der Vorsitzende des Verbandes der Presse-Grossisten, Eberhardt Nolte, aber auch durch die Dynamik der Ereignisse nicht erklären. Hier fragt man sich, ob aus der Not eine Tugend gemacht wurde oder eine schon lang gehegte Tugend sich die passende Not suchte. Denn schon vier Tage nach der ersten Verlagskündigung an Pfaadts bot der Verband an, mit einer von Grossisten getragenen Firma für den gestürzten Verbandskollegen in Mannheim in die Bresche zu springen. Was fehlte, war die Resonanz. Ohne die Großverlage überlebt jedoch kein Grossist.
Branchenkreise munkeln angesichts der inzwischen geschaffenen Fakten von „vertikaler Pressekonzentration“. Ob das Bundeskartellamt am Ende einschreiten kann, bleibt offen. Solange die PVP eine reine Springer-Tochter bleibt oder die Beteiligungen weniger als 25 Prozent betragen, ist rechtlich wenig zu beanstanden, meint Kartellamtssprecher Hubertus Schön. Schön ging gegenüber der taz auch davon aus, daß die Firmenkonstruktion nach Vorgesprächen in seinem Amt entsprechend aussehen wird. Was bliebe, sei eine mehr oder minder wirksame „Mißbrauchs-Aufsicht“.
Über kartellamtlich unbedenklich geschnürte Beteiligungspakete wird in Hamburg zur Zeit fleißig verhandelt. Wen sich die PVP nun als Muttergesellschaften ins Stammbuch schreiben darf, ist aber auch fast drei Wochen nach ihrer Frühgeburt noch nicht entschieden. Doch der Kreis wird nobel bleiben: Als mögliche weitere Taufpaten nennt der Springerbeauftragte Leilich nur die Verlagshäuser Bauer und Gruner+Jahr. Eine Einigung wird erst im Laufe der Woche erwartet. Über einiges ist man sich jedoch schon einig: Mindestens ein Beteiligungspartner wird kein Verlag sein. Auch für einen neuen Geschäftsführer, Waldemar Kügler, bis Ende Januar noch Prokurist eines Presse- Grossisten bei Stuttgart, hält man Anteile bereit.
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