: „Sprache ist der Büchsenöffner“
Der Satiriker Feridun Zaimoglu über seine Lehrerin Frau Hüve, die deutsche Sprache und die Insektenforschung einer ahnungslosen Multikulti-Linken
Interview UDO LÖFFLER
taz: Das ist nicht Ihr erstes Interview zu Integration und Bildung. Welche Frage wollen Sie auf gar keinen Fall hören?
Feridun Zaimoglu: Ob ich deutsch oder türkisch träume. Das kann ich nicht mehr hören.
Bayerns Innenminister Günther Beckstein hat bei einer Rezension zu Ihrem neuen Buch „German Amok“ davon gesprochen, dass die multikulturelle Gesellschaft eine Lebenslüge der Grünen sei. Sind Sie ein Anhänger von Multikulti?
Dieser Begriff sagt mir gar nichts. Multikulti läuft doch auf die friedliche Koexistenz der Speisekarten hinaus. Ich hatte schon blutigste Verbalscharmützel mit Vertretern des linksalternativen Lagers. Diese Leute betreiben eine Art Insektenforschung und wissen gar nicht, wovon sie reden.
Sie behaupten, dass ihre Lesungen mehr zur Integration beitragen als „interkulturelle Verständigungsspiele“. Wie sollen wir das verstehen?
Ich erwarte nicht, dass die Kanak-Kids zu den Literaturhäusern oder den Bel-Etage-Standorten kommen. Ich gehe selbst zu ihnen – in Jugendhäuser und Schulen. Ich muss Reaktionen spüren. Meine Lesungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Emotionen schüren. Ich brauche das, weil ich, ordinär gesagt, eine Rampensau bin. Und die Kids schonen mich nicht.
Ihre Lesungen finden, ganz klassisch, in Buchhandlungen statt – aber ebenso in schicken Clubs oder Jugendhäusern. Wie unterscheiden sich die Reaktionen an diesen Orten?
In Jugendhäusern ist es wie in einer Gospelkirche: Die Reaktionen kommen ganz spontan. Da wartet keiner artig auf das Ende der Lesung, bis der Schriftsteller den problemzentrierten Diskussionsteil einläutet. Die Fragen sind frischer, heftiger. Und wenn ihnen die Lesung gefällt, sehen sie überhaupt nicht ein, dass jede Veranstaltung ein Ende hat. Es sind auch viele junge Frauen in den Lesungen, was mich besonders freut. Es kommt natürlich auch vor, dass junge Türkinnen nach der Lesung zu mir kommen und sagen: „Du bist unser Alptraum. Du bist genauso widerlich wie deine Bücher.“
Beckstein widerspricht Ihnen ausdrücklich. Er findet, dass Integration eine Aufgabe der Politik sei. Ihre Ansicht ist, dass sie im Alltag geschehe.
Natürlich geschieht Integration nicht einfach so nebenbei. Leider glauben Leute wie Herr Beckstein immer noch an die Homogenität der Gesellschaft. Integration ist für sie gleichbedeutend mit Konformismus. Migration ist aber Unruhe, ist Umwälzung, die Verkehrung von Verhältnissen und natürlich auch eine ungeheure Belastung. Aber eine inzestuöse Gesellschaft ist ein viel schlimmerer Zustand.
Was kann die Politik da konkret tun?
Sprache, Sprache, Sprache. Sprache ist der Büchsenöffner. Man muss Sprachkurse einrichten. Das hat man Jahrzehnte lang versäumt. Viele türkische Eltern können vielleicht lesen und schreiben, sind aber ungebildet und können ihren Kindern kein Vorbild sein und keine Zukunft weisen. Außerdem brauchen wir eine Akzentverschiebung: Man darf den Ausländern nicht mehr das Gefühl geben, sie seien das Sorgenkind und gehörten in der deutschen Gesellschaft nicht dazu. Dieser Paradigmenwechsel wäre ein Befreiungsschlag.
Sie kamen als Kind nach Deutschland und konnten kein Wort Deutsch. Wie haben Sie die deutsche Sprache für sich entdeckt?
Frau Hüve, dritte Klasse in der Grundschule am Amphionpark in München-Moosach. Sie hat mir knallhart gesagt, es gibt keinen anderen Weg, du musst es lernen, sonst fliegst du raus. Es gab ja genug Gründe, mich ins Abseits zu stellen und wehleidig zu jammern, dass ich armer Türkenbengel diese Sprache einfach nicht kann. Nichts da. Meine Lehrerin hat auch keine Entschuldigung gelten lassen. Und das war auch gut so. Sprachkurse müssen eine Pflichtveranstaltung sein und kein schwammiges Angebot. Gleichzeitig darf man aber das psychologische Moment nicht vergessen. Man muss den Leuten ihr Selbstwertgefühl lassen.
Das Feuilleton klebt Ihnen gerne Etiketten auf wie Malcolm X der Türken. Sie selbst bezeichnen sich auch als „educated kanakster“. Politiker sprechen gerne von der positiven Wirkung von Vorbildern. Sind Sie so etwas wie ein Role Model für junge Migranten?
Man darf meine Rolle nicht verwechseln mit der von Türkenvertretern, die zu Recht verhasst sind. Mir schwebt keine Vereinsmeierei vor. Mir wird eine bestimmte Glaubwürdigkeit abgenommen, auch wenn ich sage, ich bin Deutscher und freu mich darüber, weil ich es so meine. Das ist das Role Model, auf das ich nicht verzichten will. Die Kids brauchen mir ja nur in die Visage zu schauen, um zu sehen, der Typ hat es auch nicht einfach gehabt, denn er kommt auch aus Gastarbeiterverhältnissen.
Vielleicht liegt es an Ihrer deutlichen Sprache?
Ich erzähle den Jugendlichen keine Ammenmärchen oder sozialpädagogische Kuschelnummern. Ich versuche Ihnen klipp und klar zu sagen, dass sie die Wahl haben zwischen Stillstand und bestimmten Chancen, die sich ihnen eröffnen, wenn sie die deutsche Sprache lernen. Ich erzähle ihnen aber auch nicht, dass sie mit Sprache alles erreichen können. Es ist ein ständiger Kampf, aber da draußen kämpfen täglich Millionen von Menschen. Wenn man sich nicht in einer behaglichen Nische einrichten, sondern weiterkommen will, dann muss man eben seinen Türkenarsch hochbringen. Natürlich machen Leute wie Dieter Bohlen vor, der über 400.000 Bücher verkauft hat, dass man auch mit Infinitiv-Deutsch und ohne Bildung beste Aufstiegsmöglichkeiten hat. So was gibt es immer, aber die meisten bleiben halt doch auf der Strecke.
Comedy à la Kaya Yanar „Was guckst du?“ liegen voll im Trend. Die Leute lachen über die Klischees, die es von Türken gibt. Ist das ein gutes oder schlechtes Zeichen für die Integrationspolitik?
Für mich ist diese Entwicklung ein wunderbares Zeichen. Eine Zeitlang dachte ich, dass Humor in Deutschland nur in homöopathischen Dosierungen möglich ist. Aber das stimmt nicht. Die Dämme brechen langsam. Viele Zuschauer von Kaya Yanar sind ja Kanak-Kids, die sich auf die Schenkel klopfen, wenn Kaya sie parodiert. Es ist auch eine Art Befreiung. Dieser böse Humor ist nicht denunziatorisch. Deshalb lachen alle. Eine politisch korrekte Haltung dient eher der Verschleierung von Missständen. Bloß nicht darüber reden und die Finger auf die Wunden legen! Man darf nicht vergessen, dass die gegenseitige Schmähung zur Kultur der Einwanderer gehört.
Gekürzte Fassung eines Interviews, das ab morgen online erscheint: http://bildungplus.forumbildung.de