: Sprache, die tötet
ANTISEMITISMUS Die Linguistin Monika Schwarz-Friesel und der Historiker Jehuda Reinharz haben die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert untersucht. Dabei kommen sie zu schockierenden Ergebnissen, die nun im Centrum Judaicum vorgestellt wurden
VON SONJA VOGEL
„So etwas wie Antisemitismus wird es nie wieder geben!“ Dies hoffte die Autorin Inge Deutschkron nach 1945. Stattdessen, so erzählt die Holocaust-Überlebende, wollten die Deutschen weiterhin keine Juden als Nachbarn. Als sie in Bonn einen Pass beantragte, beharrte die Beamtin darauf, dass sie den in ihrer Geburtsurkunde vermerkten Zweitnamen „Sara“ angeben müsse – „nach allem, was geschehen ist“, so Deutschkron.
Der Antisemitismus war nach Auschwitz nicht überwunden. Doch wie hat er sich erhalten? Und wie äußert er sich heute? Diesen Fragen widmet sich die soeben erschienene Untersuchung „Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert“. Im Centrum Judaicum wurde sie am Mittwoch von Deutschkron und der Mitherausgeberin Monika Schwarz-Friesel, einer Linguistin, vorgestellt. Das Interesse war so groß, dass viele der 60 ZuhörerInnen stehen mussten.
Sieben Jahre lang hatten WissenschaftlerInnen zehntausende Texte auf antisemitische Sprache hin untersucht – Medienberichte, Kommentare, Postings aus sozialen Netzwerken sowie Zuschriften an den Zentralrat der Juden in Deutschland und die Israelische Botschaft in Berlin. Diese 14.000 Zuschriften schockieren durch den Mix aus Klischees, Verschwörungstheorien und israelbezogenen Vorurteilen. Zehntausende schreiben hier zu dem Zweck, Juden zu beleidigen, zu belehren und zu bedrohen. „90 Prozent der Zuschriften an den Zentralrat sind antisemitisch“, sagt Schwarz-Friesel.
Die Einsendungen stammen nicht vom extremen Rand. Fast 70 Prozent der AbsenderInnen gehören zur gesellschaftlichen Mitte: Sie sind Rechtsanwälte, oder Ärztinnen. Eine Lehrerin schreibt: „Sie haben gut von Hitler und den Nationalsozialisten gelernt!“ Eine Abiturientin: „Jetzt verstehe ich, warum Juden als mies, brutal, verlogen und heimtückisch gelten.“ Beide betonen, sie seien keine Antisemitinnen – eine für das 21. Jahrhundert beliebte rhetorische Schleife.
Dem Antisemitismus charakterisiert Schwarz-Friesel nicht als Spielart der Xenophobie, sondern als realitätsverneinendes Weltdeutungssystem: Statt um das Sein und Tun von Juden und Israelis geht es um Fantasieprodukte, Obsessionen. Über Jahrhunderte haben sich Bilder vom „Geldmenschen“, „listigen Juden“ oder der „verjudeten Tagespresse“ in der Sprache erhalten. Und die Legende vom Kritiktabu, demzufolge man gegen Juden – oder gegen Israel – nichts sagen dürfe, ist uralt.
Dass in Deutschland kein anderes Land so regelmäßig Gegenstand der öffentlichen Kritik ist wie Israel, tut der Virulenz keinen Abbruch. Im Gegenteil. Auch die Zuschriften zeigen diesen Trend. „Mehr als 90 Prozent der Texte vermischen antiisraelische und antisemitische Aspekte“, konstatiert Schwarz-Friesel. Die Untersuchung unterscheidet zwischen Israelkritik und Antiisraelismus, der, der konzeptuellen Ismus-Struktur folgend, Zerrbilder Israels erzeugt und mit antisemitischen Stereotypen dämonisiert. Tausende, nicht nur Günter Grass, benutzen die immergleiche Floskel: „Israel bedroht den Weltfrieden!“
Der Holocaust selbst wird indes selten geleugnet. „Viel häufiger schreiben Menschen, dass sie es bereuen, dass Hitler sein Werk nicht vollenden konnte“, sagt Schwarz-Friesel. Vernichtungsfantasien würden indirekt formuliert.
Exemplarisch dafür steht ein Satz, auf den Schwarz-Friesel verweist, und der sich in verschiedenen Varianten in den Zuschriften findet: Man hoffe, der Iran möge endlich die Bombe werfen. „Der Zivilisationsbruch des Holocaust hat dem Verbal-Antisemitismus nicht den Boden entzogen“, so Schwarz-Friesel. Die Untersuchung zeigt in erster Linie, wie selbstverständlich und selbstbewusst sich die Mitte der Gesellschaft des Verbal-Antisemitismus bedient.
Bleibt zu hoffen, dass dieses Buch eines erreicht: Dass es künftig schwerer sein wird, einen verbalen Antisemitismus à la Jakob Augstein zu leugnen, der den Israelis ganz im Einklang mit dem antijüdischen Klischee unterstellt, nur dem „Gesetz der Rache“ zu folgen oder Gaza als „Lager“ bezeichnet.
■ Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reinharz, „Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert“. De Gruyter Verlag, bereits erschienen. 444 Seiten, 79,95 Euro