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Sportnation NigeriaDer Wille der Kämpferinnen

In Nigerias Macho-Gesellschaft sind es die Frauen, die für die großen Erfolge sorgen. Angefangen hat es 1996 mit dem Olympiasieg der Weitspringerin Chioma Ajunwa.

Trumpfte im Weitspringen auf: Chioma Ajunwa. Bild: imago

Ihr Wagen rollt aus, hält direkt vor der Umkleide, sie steigt aus schlägt die Tür zu und verriegelt ihrem BMW. In allen Richtungen sieht man Sportler. Boxer, Fußballer, Leichtathleten, Gewichtheber. "Chioma, how are you?" Fünfmal antwortet sie "danke, gut" und schüttelt Hände. Gleich hat sie mit ihrer Fußball-Mädchenmannschaft Training, am Nachmittag kommen die Weitspringerinnen.

Das alles in den Dienstpausen. Jeder auf der Polizeiakademie Ikeja in Lagos kennt Chioma Ajunwa. Seit acht Jahren ist sie ranghohe Polizistin in der größten Stadt des Landes und hat hier den Nachwuchssport maßgeblich vorangetrieben. Bekannt geworden ist die schmächtige 39-Jährige aber durch ein anderes Ereignis. Ajunwa war die erste schwarzafrikanische Frau, die in einer technischen Leichtathletikdisziplin olympisches Gold gewann.

Ajunwa lächelt, sie erzählt gern von der Zeit als Weitspringerin. "Ich habe mich gut gefühlt, war überraschend ins Finale gekommen. Beim ersten Versuch kam ich auf 7,12 Meter. Ein paar Minuten später war ich Olympiasiegerin." Nigeria stand Kopf an diesem 2. August 1996. "Von zu Hause riefen mich Freunde an, im Hintergrund jubelten alle." Bei ihrer Ankunft in Nigeria nach den Spielen bedankte sich Ajunwa beim nationalen Energieversorger, dass es während der Live-Übertragung Strom im Land gegeben hatte. Stromausfälle gibt es täglich. Ajunwa hat die Bilder noch im Kopf. Sie entstanden vor 14 Jahren in Atlanta.

Jeder Nigerianer kann sich an diese Spiele erinnern. "1996 war eine sportliche Zeitenwende", erinnert sich Gloria Obajimi, die in den 1970er Jahren eine der ersten international erfolgreichen Sprinterinnen für Nigeria war, im Land aber weitgehend unbekannt blieb. Zeitungen titelten selbstbewusst: "Wir sind jetzt wer!" Noch 1995 war Nigeria von der diplomatischen Welt weitgehend isoliert, weil die Regierung Dissidenten ermorden ließ. Dann sorgte eine Frau für positive Schlagzeilen.

Ajunwa wuchs in einer armen Großfamilie auf. Als einziges Mädchen unter zehn Geschwistern spielte sie mit ihren sportbegeisterten älteren Brüdern. "Mädchen haben es schwer in ihren Familien. Wir mussten immer um unsere Anteile kämpfen, weil die Jungen, die die Familie notfalls beschützen könnten, wichtiger waren." Die Umstände haben aus ihr eine Kämpferin gemacht, sagt sie, als sie sich auf der Polizeiakademie umsieht. Alle Mädchen hier seien Kämpfernaturen.

So sieht das auch Gloria Obajimi, heute Vorsitzende der Frauensparte des nationalen Leichtathletikverbandes. "Die Probleme sind so tiefgehend, ethnischer, politischer, ökonomischer und religiöser Natur. Am meisten leiden Mädchen und Frauen. Aber Persönlichkeiten wie Chioma wirken Wunder." Seit Atlanta ist der Zuwachs im Frauensport konstant. Obajimi, die in Lagos Stadtteil Surelere das größte Sportleistungszentrum des Landes leitet, musste in den letzten Jahren mehrmals neue Trainingsgruppen gründen. Auch die derzeit stärkste Sprinterin Nigerias, Oludamola Osayomi, trainierte bei ihr. "Häufig kommen Mädchen ohne Schuhe, wie Chioma und Oludamola. Wenn sie starke Leistungen bringen, können wir Sponsoren organisieren, die Ausrüstungen stiften. Es ist ein Weg aus der Misere."

Es klingt, als wäre in Nigeria der Sport die Lösung der Probleme. "So einfach ist es nicht", widerspricht Ajunwa. Hinter ihr wärmt sich ihre Mädchenmannschaft auf. "Viele wollen Sport treiben, aber können nicht. Den Ausweg aus der Armut schafft nur ein Bruchteil." Im islamisch geprägten Norden Nigerias ist Sport ein Stigma für Frauen. Gerüchte suggerieren, dass der Sport Frauen unfruchtbar macht. Familienväter verbieten den Sport häufig. "Wer es wirklich will", sagt Obajimi, "muss nach Lagos kommen. Hier in der Großstadt ist es etwas einfacher." Sie betont das "etwas", bestätigt aber im Nachsatz, dass Nigerias Athletinnen trotz oder gerade wegen der großen Hindernisse in Afrika beispiellos erfolgreich sind.

Obajimi hat recht - vor allem was die Frauen betrifft. Während die Männer bei internationalen Wettbewerben meist leer ausgehen, gewinnen die Frauen regelmäßig Medaillen. Der aktuelle Star Oludamola Osayomi führte die 4 x 100 Meter-Staffel 2008 in Peking zu Olympiabronze. Sie ist Afrikameisterin über 100 und 200 Meter. Die 23-Jährige kam als Mädchen nach Surelere, gegen den Widerstand ihres Vaters. "Ich wollte so sein wie Chioma Ajunwa, berühmt werden, für mein Land siegen und Geld verdienen. Jedes Mädchen träumt davon."

"Dieser Wille hat sie zu einer starken Frau gemacht", strahlt Ajunwa, als sie auf der Polizeiakademie von diesem Satz hört. "Wer in Nigeria ein Mädchen bleibt, kommt nicht weit." Die Kombination aus dominierendem Machismus, den Nachwirkungen eines 30 Jahre währenden Bürgerkriegs und die Unsicherheit an jeder Ecke scheint die Frauen stärker zu machen in Nigeria. "Oft sind wir stärker als Männer, weil wir Frauen es nötiger haben." Mit diesem Satz zieht Ajunwa, die 1991 auch als Fußballerin für Nigeria spielte, davon. Sie muss zu ihrer Mannschaft, die Mädchen sind aufgewärmt. "Im Frauenfußball gehören wir zur Weltspitze. Das haben die Männer nie erreicht", rutscht ihr mit einem Lachen raus. Jüngstes Beispiel: Am Wochende spielte Nigerias U20-Team im Finale der WM gegen Deutschland.

Jetzt ist Ajunwa auf dem Platz, einem holprigen, vertrockneten Stück Rasen, und schickt die Mädchen an die Bälle. Sie wollen sein wie Ajunwa, ob als Fußballerinnen, Sprinterinnen oder Weitspringerinnen. Ajunwas Job ist wichtig in Nigeria. Nicht nur der als Polizistin.

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