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Archiv-Artikel

Spieltriebe (3) Nach dem Scheitern der Kommunikation

Das Theater Osnabrück startet mit dem Festival „Spieltriebe“ in die neue Spielzeit. Die taz nord stellt einige der jungen DramatikerInnen und ihre Stücke im Vorfeld in einer Serie vor. Heute: Conor McPhersons „Shining City“.

Großstadt, irgendwo. In den Nebenrollen: Sex und Streit. In den Hauptrollen: wohlbekannte Leidensbitterwesen, denen Sinn und metaphysischer Hintergrund ihres festgefahrenen Lebens abhanden gekommen sind. Beispielsweise Ian, ein vom Glauben abgefallener Priester, der sich als Psychotherapeut durchschlägt.

Auf seiner Couch hockt John, dessen Gattin sich gerade per Autounfalltod aus der Ehe verabschiedet hat. So hebt ein Duett langsam sich entwickelnder Monologe an – auf der ratlos tastenden Suche nach einem irgendwie möglichen Dialog. Conor McPhersons „Shining City“ spielt nach dem Scheitern der Kommunikation. Verständigungssehnsucht. Verständigungsangst. Sätze geraten ins Stottern, brechen ab. Obwohl man sich offenbaren möchte, werden Worte gesucht, hinter denen man sich verbergen kann. Das Verschwiegene ist viel wichtiger als das vorsichtig Formulierte.

Ein Kammerspiel. Kaum äußere Handlung in einer mit Emotionen vollgestopften Kammer: Ians Praxis. Wahrscheinlich ist sie wenig unaufgeräumt, aber irgendwie auch eine anheimelnde Insel im grauen Meer des Alltags. Hinter den Fenstern sollte es regnen, fünf Akte lang. Mit der deutschsprachigen Erstaufführung dieses Werks ist dem Osnabrücker „Spieltriebe“-Festival ein kleiner Coup gelungen. Die Uraufführung wurde in Dublin und London bejubelt. McPherson gilt als einer der wichtigsten irischen Gegenwartsdramatiker – dessen garstige Trinkerstücke zu Boomzeiten des Brit-Schock-Theaters gern gesehene Gäste auf Deutschlands Renommierbühnen waren. Der heute 34-Jährige schreibt in einem immer naturalistischen Idiom. Auch „Shining City“ wirkt wie direkt aus der Realität herausgeschnitten. Etwa das Beziehungsgekeif von Ian und Freundin Neasa: Lärmende Einsamkeit ist zu erleben – also das, was sich zwei Menschen antun, wenn sie mit der Sprache um ihre Lebensentwürfe kämpfen. Während John von der leisen Einsamkeit seiner Ehe berichtet: Was zwei Menschen einander antun können, wenn sie sich beschweigen – aus Schutz vor gegenseitigen Verletzungen. Die Verfehlung in der Begegnung, das ist das Thema, das McPherson mit dem englischen Dramatikernachwuchs verbindet.

Der Ire wurde in den Neunzigern als Teil dieser frechen Bande begriffen, die sich illusionslos und utopiefrei gebärdete. Theaterideologisch ging es um das Gespür für Figuren und Situationen, die unter den aufregenden Perversionen unserer spätkapitalistische Gesellschaft leiden. Inzwischen hat sich diese Autorenszene ausdifferenziert. Vorbei die Konjunktur solcher Stücke, die mit wütendem und mitleidvollem oder auch mit grotesk-komödiantischem Blick soziale Verelendung illustrieren. Vorbei die Zeit, da nichts weiter als Wunden gezeigt werden.

Beispielhaft kann Osnabrück diese Entwicklung mit „Shining City“ nachvollziehen. Gegen die Kälte und das Ironiediktat der Shoppen-Ficken-Schlagen-Bumsen-Saufen-Vögeln-Dramaturgie setzt McPherson jetzt geradezu zärtliche Menschenbeobachtung, sucht mit frischer Ernsthaftigkeit nach den unmerklichen Verschiebungen in der Perspektive seiner Helden.

Zurück zum Drama. Und zur Wiedereinführung eines Hauchs von Utopie, von Zukunft. Als spirituellen Eingriff lässt McPherson einen Geist „Shining City“ beleben: Johns tote Gattin. Eine Metapher des Schreckens, der alle ergreift. Ein Bild der Schuld, eine Mahnung zur Veränderung. Ian und John gehen zurück nach vorn: abgelegte Ideen werden aus neuen Überzeugungen heraus reaktiviert. Was auch für die ex-jung-wilden Dramatiker gilt: McPherson zeigt, wie man erwachsen wird – ohne Zynismus.

Jens Fischer