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SpielsuchtAbbrechen, wenn es kribbelt

Heiko Schiel hat vor einem Jahr eine Selbsthilfegruppe für Glücksspielsüchtige gegründet. Um Betroffene zu erreichen, geht der Ex-Spieler sogar selbst zurück in die gefährlichen Hallen.

Der Kick kommt, wenn's klingelt: Lockvogel Spielautomat. Bild: dpa

Überhaupt reinzugehen, fällt Heiko Schiel nicht leicht. "Wenn ich merke, dass es kribbelt, muss ich abbrechen." Er wirft seine Zigarette weg, öffnet betont locker die Tür und spricht mit fester Stimme die Angestellte an. Flyer will er verteilen. "Kein Problem", ist die Antwort. Schiel zögert. Und sagt, als hätte er Schmuddelhefte in der Hand: "Das sind aber solche Flyer." Er zeigt der Mitarbeiterin der Vegesacker Spielhallen seine Handzettel: Sie informieren über eine Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige.

Schulterzucken. Die Angestellte wechselt ein paar Blicke mit der Kollegin. "Können Sie machen, glaube ich. Manche brauchen halt Hilfe." Wieder Schulterzucken. "Damit hätte ich überhaupt nicht gerechnet", sagt Schiel später. "In 99 Prozent der Fälle darf ich das nicht." Meist probiert er es ohnehin nur telefonisch. Er will das Risiko eines Rückfalls minimieren, in dem er die Spielhallen möglichst meidet.

Doch jetzt ist er drin, und plötzlich knackt jemand den Jackpot: Der Automat spuckt klimpernd zahllose Münzen aus. "Das hat mir nichts ausgemacht", sagt Schiel. "Ich habe das nur im Unterbewusstsein registriert." Er winkt ab und schüttelt den Kopf.

18 Jahre lang waren Spielhallen Heiko Schiels zweites Zuhause, er war spielsüchtig. Aber seit 2007 hat er kein Geld mehr in einen Automaten gesteckt. Heute ist der 43-jährige Lastwagenfahrer "trockener Spieler" und glaubt die Gründe für seine damalige Sucht zu kennen: "Ich hatte keine sozialen Kontakte, ich habe sie in der Spielhalle gesucht. Außerdem konnte ich da Stress und Frust abbauen."

Vor einem Jahr, nach einer erfolgreichen Therapie, hat er dann die Selbsthilfegruppe "Gemeinsam gegen Glücksspielsucht" gegründet, deren wöchentliche Sitzungen er auch selbst leitet.

Die Gruppe findet regen Zulauf: Zu Beginn nahmen drei Spieler an den Sitzungen im Psychiatrischen Behandlungszentrum Bremen-Nord teil. Inzwischen sind es zwölf. Es gibt feste Regeln - auch, um die Teilnehmer vor sich selbst zu schützen: Sie dürfen einander kein Geld leihen. Probleme Einzelner haben Priorität und "Ehrlichkeit in der Gruppe" sei Grundvoraussetzung, sagt Schiel. Das Konzept scheint aufzugehen: Rückfälle gebe es selten. Und wenn, dann seien sie einmalig.

Über die Spielhallen versucht Schiel, noch weitere Spielsüchtige zu erreichen. Er will in der Selbsthilfegruppe vor allem Automatenspielern helfen, aber auch Online- und Casinospieler seien in seiner Gruppe willkommen, sagt er. Die Motivation der Automatensüchtigen kennt er freilich am besten. "Uns haben die Lampen und das Geld-Geklimper gepackt", erklärt er. Eines verbinde aber alle Spieler - egal, wo gezockt werde, glaubt Schiel: "Hundert Euro, die man gewonnen hat, sind mehr wert als die 200 Euro, die man dafür eingesetzt hat."

Und gewinnen kann man an Automaten inzwischen viel: 10.000 Euro sei derzeit das Maximum, sagt Gerhard Meyer, Psychologieprofessor und Leiter der Bremer Fachstelle Glücksspielsucht. Mitte der 70er Jahre seien noch 240 Mark der Höchstgewinn gewesen. Meyer betont: "Die hohen Gewinne sind in Sachen Spielerschutz kontraproduktiv, weil dadurch die Spielanreize steigen." 2011 will das für die Gewinngrenzen zuständige Bundeswirtschaftsministerium die Maximalausschüttung auf ein Zehntel reduzieren: Höchstens 1.000 Euro sollen künftig für die Spieler noch zu holen sein. Doch auch dieser Betrag sei noch zu hoch, sagt Meyer. Eine verträgliche Gewinnsumme müsse noch durch Forschungen ermittelt werden.

In einer anderen Spielhalle in Vegesack bekommt Schiel die typische Reaktion auf seine Flyer. "Sie sagen den Leuten beim Schlachter ja auch nicht, dass sie keine Wurst essen sollen", begründet die Angestellte ihr Nein zu den Flyern. Schiel hat Verständnis und geht. Alle Spieler in dem Raum starren gebannt auf die bunten Maschinen vor sich, kaum einer schenkt der ungewöhnlichen Szene am Empfang einen Blick.

Schiel ist trotzdem zufrieden. Nur zwei Tage vergehen, bis sich vier Spieler hilfesuchend bei ihm melden. "Das lief wirklich gut", sagt Schiel. Er lässt offen, ob er sich nur über die Spieler freut, die er erreicht und zu seiner Gruppe eingeladen hat. Oder auch darüber, die Spielhalle betreten und selbst kein Geld in einen der Automaten gesteckt zu haben.

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