Spielrezession: Zocker und Börsenzombies
■ Wer beim Crash vom 19. Oktober bedauerte, daß er nicht dabei war, darf jetzt mitmachen Spielrezession
Rhythmisch wiegten meine MitspielerInnen die erhobenen Arme, reckten mal einen Finger, mal zwei Finger, mal einen Block in die Höhe und schauten mich erwartungsvoll an. „Serious Money“ fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das neue Erfolgsstück der Britin Caryl Churchill über die Zombies der Londoner City, der Börsenkrach und die Manipulationen am New Yorker Future Market hatten sie animiert. Als „skandalös, subversiv, skrupellos“ war das Stück über die Börsenjobber gelobt worden. Dermaßen vorbelastet war es kaum möglich, die recht einfachen Spielregeln in Ruhe zu erklären. Schon als ich das Spielbrett, als Parallelogramm lag es im Kasten, zum Sechseck aufklappte, gab es beifällige Zwischenrufe. Dabei gibt sich das Spiel „long, short“ als seriöses Warenterminspiel, das versucht, die Börsenrealität möglichst wirklichkeitsnah zu simulieren. Die Grundlage der Speku lation am Warenterminmarkt bildet der „long“–beziehungsweise „short“–Kontrakt bestimmter Waren. Der Spekulant muß nicht den Gesamtpreis des gekauften Kontraktes zahlen, sondern beim Broker nur eine Sicherheitsleistung (margin) von 10 von diesen 10 100 werden. Beim Erwerb des Terminkontrakts muß man sich entscheiden, ob es sich um einen „long“– oder „short“– Kontrakt handeln soll. Beim „long“ erwirbt man einen Kontrakt in der Hoffnung, daß der Kurs steigen wird, um ihn später zu verkaufen. Der Gewinn liegt in der Differenz. Man verliert, wenn der Preis fällt. Beim „short“ wird im Gegensatz dazu auf fallende Preise spekuliert. JedeR SpielerIn erhält zehn Kursveränderungskarten (pro Spielrunde wird eine Karte geschmissen) mit denen die Börsenkurse in Bewegung gehalten werden. Zusätzlich werden die Kurse durch Würfel und „action cards“ wie „Krieg in Nahost“, „Die Kupferpreise steigen um fünf Punkte“ oder „Neue Anbaumethoden für Soja–Bohnen bringen ungeahnte Erträge“, „Die Soja–Preise fallen um fünf Punkte“. Nun kommt es darauf an, durch schnelles Kaufen und Verkaufen seinen Gewinn zu vermehren. Die ersten zehn Runden entwikkelten sich recht betulich. Beim zweiten und dritten Spiel bekamen wir so langsam die Kniffe raus. Und beim vierten, als das Spielgeld gegen echtes ausgetauscht wurde, ging die Wutz ab. Da wurden per Augenzwinkern Kurse skandalös in die Höhe gejagt und MitspielerInnen an den Rand des Ruins getrieben, die Würfel subversiv unterm Tisch weitergereicht, um Verkäufe zu verhindern und da wurden skrupellos beim Vorlesen der action cards einfach neue Texte erfunden, um den Spielverlauf zu manipulieren. Peter Huth „long, short“. Das Warenterminspiel. Hexagames. 66,90 DM
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