: Spielfreudige Insel
MUSIK-COMMUNITY Von Deichkonzert bis „Swing ’n’ Bolz“: Zum zweiten Mal verwandelt „48h Wilhelmsburg“ die ganze Elbinsel drei Tage lang in eine riesige Bühne für die Musik
VON ROBERT MATTHIES
Dass sie gemeinsam ein beeindruckendes Durchhaltevermögen haben, haben die Wilhelmsburger schon letzte Woche bewiesen. Eine Stunde länger als bei ihrem letzten Rekord vor vier Jahren haben die 170 HandballerInnen der SG Wilhelmsburg den Ball in der Sporthalle Dratelnstraße in Bewegung gehalten. 3.237 Tore sind während des Nonstop-Handballmarathons gefallen und am Ende war es dann doch knapp: Nur 157 Tore Vorsprung hatte das weiße Gewinnerteam nach 49 Stunden Dauerspiel.
Auch dieses Wochenende zeigt sich die Elbinsel wieder außergewöhnlich spielfreudig. Nur dass statt Bällen diesmal drei Tage lang Töne durch die Luft fliegen. Zum zweiten Mal veranstalten das „Netzwerk Musik von den Elbinseln“ und das Bürgerhaus Wilhelmsburg von Freitag- bis Sonntagabend im Rahmen des bundesweiten „Tages der Musik“ ihr Spektakel „48h Wilhelmsburg“. Und verwandeln die Insel zwischen den Elbarmen in eine riesige Bühne für alle erdenklichen musikalischen Äußerungen ihrer BewohnerInnen: Von türkischer Hochzeitsmusik über geistliche Chormusik und Kanons der Kirchdorfer Kantorei, Shantys und Heimatlieder mit dem Wilhelmsburger Männerchor, gesungene buddhistische Meditation bis zu Singer/Songwriter-Pop „made in Wilhelmsburg“ reicht das Programm.
Das wird dabei tatsächlich fast überall auf der Elbinsel dargeboten. Die „kleinste Bigband der Welt“ lädt zum Deich-Konzert an der Peutebahn, die Lehrerband der Schule an der Burgweide zur Bandprobe in die örtlichen Musikräume, das „Groovekollektiv Diazpora“ in die Soulkitchenhalle an der Industriestraße, der Sportverein Vorwärts 93-Ost gemeinsam mit der Wilhelmsburger Swingszene zu „Swing ’n’ Bolz“ auf den Sportplatz am Niedergeorgswerder Deich und die BewohnerInnen von Pflegen & Wohnen Wilhelmsburg in das Kesselhaus an der Hermann-Westphal-Straße.
Die Idee, ein ganzes Wochenende lang die musikalische Vielfalt des Stadtteils gebündelt zu präsentieren, haben die Wilhelmsburger aus Berlin. Entstanden ist sie Ende der 1990er in Neukölln, wo das dortige Kulturnetzwerk mit einem Nonstop-Festival auf massive Kulturmittelkürzungen reagiert hat. Seit 1999 präsentieren Organisationen, Initiativen, KünstlerInnen und Kulturschaffende aus dem ganzen Bezirk das dezentrale Kultur- und Kunstfestival „48 Stunden Neukölln“. Das ist heute eines der größten seiner Art: 1.700 Menschen haben im letzten Jahr an über 350 Veranstaltungsorten 770 Einzelveranstaltungen angeboten, jeder hundertste Neuköllner war beteiligt. Auf Straßen und Plätzen, in Kleingärten und Parks, in Galerien, Theatern, Ateliers, Stadtteilläden, Kneipen und Privatwohnungen gibt es drei Tage lang bildende Kunst, Theater, Tanz, Performances und Lesungen zu erleben und jede Menge Feste zu feiern – „48 Stunden Neukölln“ ist längst nicht nur ein beeindruckender Beweis der kulturellen Vielfalt des als „sozialer Brennpunkt“ verschrienen Bezirks, sondern auch ein Beispiel für gelungene demokratische Einbindung.
Auch das Wilhelmsburger Pendant versteht sich ausdrücklich als Teil eines musikalischen Community Buildings in Wilhelmsburg und auf der Veddel. Nicht nur schon etablierte MusikerInnen sollen hier eine Plattform bekommen, sondern der ganze Stadtteil aktiviert werden. Und „48h Wilhelmsburg“ soll die Elbinsel nicht nur nach außen als kulturell vielfältigen Teil der Stadt präsentieren, sondern auch den WilhelmsburgerInnen selbst eine Gelegenheit bieten, sich gegenseitig besser kennenzulernen: Im Rahmen von „48 Wilhelmsburg“ findet auch dieses Jahr wieder der Kulturaustausch „ExTra! Exchange Traditions“ statt. Ab 13 Uhr zieht am Samstag der „Umzug der Kulturen“ vom Vogelhüttendeich aus durch die Straßen, anschließend gibt es Konzerte und Workshops im Bürgerhaus.
Und auch sonst hat „48h Wilhelmsburg“ längst mehr zu bieten als nur Musik. Am Samstagabend wird in Kirchdorf-Süd eine Hochhauswand mit Impressionen der 48 Stunden illuminiert, Lutz Elias-Cassel lädt Sonntagnachmittag gemeinsam mit der Klezmerband Massel Klezmorim zum musikalischen Rundgang entlang der Wilhelmsburger Stolpersteine und im Cafe Sweet Home präsentiert das Filmfestival „Inselgeschichten“ drei Dokumentarfilme über Wilhelmsburg – unter anderem einen über die 48 Stunden im letzten Jahr. Auch für den obligatorischen Shuttleservice ist übrigens gesorgt: Die Arbeitsloseninitiative Wilhelmsburg verleiht am Wochenende kostengünstig Fahrräder, damit man jederzeit flexibel mobil ist. Und keine Stunde Wilhelmsburg verpassen muss.
■ Fr, 17. 6. bis So, 19. 6., Infos und Programm: www.48h-wilhelmsburg.de