Spielfilmdebüt „A fábrica de nada“: Eine Fabrik, die nichts produziert
Pedro Pinhos dokumentiert einen Arbeiterkampf – mit allen dazugehörigen Entscheidungsprozessen. Ohne Fabrikromantik und ohne Pathos.
Mitten in der Nacht klingelt das Telefon die Arbeiter einer Aufzugfabrik in einer Vorstadt von Lissabon aus dem Bett: Ein paar Männer treiben sich an der Fabrik herum. Ein Blick in einen der Lieferwagen macht klar, dass die Männer drauf und dran sind, die wichtigsten Maschinen der Fabrik abzutransportieren. Am nächsten Morgen ergreift dann auch noch der Manager der Fabrik nach einem kurzen Telefonat mit der Unternehmensleitung kommentarlos die Flucht und wenig später stellt die Unternehmerin den beunruhigten Mitarbeitern einen neuen Fabrikleiter und eine neue Personalchefin vor, die ab sofort Teil des „Teams“ werden soll.
Pedro Pinhos Spielfilmdebüt „A fábrica de nada“ (übersetzt in etwa: Die Fabrik für nichts) beginnt wie viele Filme über Arbeitskämpfe in Krisenzeiten zuvor. Doch anstatt lehrstückhaft einen Arbeitskampf durchzuexerzieren und wahlweise mit einem pathetischen Scheinerfolg oder dem Nichts zu enden, erfindet Pinho seinen Film im Laufe von fast drei Stunden Laufzeit mehrfach neu.
Etwa eine Stunde lang entfaltet der Film die Situation der Arbeiter, skizziert die Lebensbedingungen Einzelner, zeigt die Versuche der Unternehmensleitung, die Arbeiter mit Abfindungen zur Kündigung zu bewegen. In einigen Fällen versucht es die Personalchefin sogar bei den Frauen der Arbeiter, um sie dazu zu bewegen, auf ihre Männer einwirken.
In zunächst wenig konstruktiven Diskussionen streiten die Arbeiter (bis auf eine Frau allesamt Männer) über das weitere Vorgehen. Als die Situation weiter stagniert, beschließen die Arbeiter, die Fabrik zu besetzen. Die Aneignung des Raumes schafft Platz für ein umherschweifendes Denken. Inmitten der Langeweile der Besetzung beginnen konstruktive Diskussionen, entsteht in den Gesprächen eine neue Nähe. Noch absurder wird die Lage, als die Arbeiter bei dem Versuch, die Unternehmensleitung zu konfrontieren, in einem leeren Büro stehen. Die Fabrik, die nichts produziert, ist mit einem Mal zum Freiraum für die Arbeiter geworden.
Tanzend bei der Selbstbefreiung
Gut zwei Drittel seiner Laufzeit ist „A fábrica de nada“ deutlich geprägt von der Vergangenheit des Regisseurs als Dokumentarfilmer. In der Anfangssequenz zeigt Pinho die Verrichtungen in der Fabrik, Hände, die wie automatisiert ein Blechstück nach dem anderen in die Stanze schieben. Kommentare aus dem Off entfalten den politischen Überbau der Handlung.
In den Fabrikarbeiterfilmen der 1970er Jahre hätten solche Kommentare Handlungsanleitungen gegeben, doch stattdessen verstärken sie die Melancholie einer scheinbar aussichtslosen Situation: „Ein Phantom geht um in Europa. Das Phantom seines Endes.“ Die Paraphrase des berühmten Anfangs des „Kommunistischen Manifests“ von Marx und Engels wird hier zum Abgesang auf eine Epoche in Zeiten der Globalisierung. Doch schon inmitten der Diskussionen in der besetzten Fabrik schlägt der Film einen deutlich anderen Ton an, den er bis zum Ende beibehält. Aus den Diskussionen der Arbeiter erwachsen neue Handlungsmöglichkeiten.
„A fábrica de nada“. Regie: Pedro Pinho. Mit José Smith Vargas, Carla Galvão u.a. Portugal 2017, 177 Min.
Als Zuschauer beobachtet man staunend, wie Pedro Pinho die Arbeiter als scherzendes, tanzendes Proletariat bei der Selbstbefreiung zeigt. Pinhos Film ist einer der bislang gelungensten Versuche, postfordistische Arbeitskämpfe im Film zu zeigen: ohne jede Fabrikromantik, ohne Nationalismen oder dümmliche Verkürzungen. Jene Filme, die Anfang der 2000er Jahre mit der Thematisierung von Fabrikauflösungen die Diskussion um Prekarität aufnahmen, sind erfreulicherweise mittlerweile vergessen. Wenn man in 30 Jahren nach Filmen zu Arbeitsbedingungen im heutigen Europa sucht, wird hoffentlich „A fábrica de nada“ in all seiner Kraft wieder die Leinwände füllen.
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