: Spielend kaufen und rauschen
Eltern, die mit ihren Kindern bummeln gehen, haben es schwer: Wohin mit den Kleinen? Nur wenige Geschäfte bieten bislang Ablenkung an. Eine Auswahl ■ von Edith Fellner
„Der kleine Nico, 4 Jahre alt, sucht seine Mutter. Das Kind befindet sich an der Sammelkasse im 2. Obergeschoß.“ Ein Stoßseufzer der Erleichterung entringt sich der jungen Mutter, die schon seit geraumer Zeit hektisch hin und her läuft und ihren Sohn sucht. Solche Lautsprecherdurchsagen sind keine Seltenheit in Kaufhäusern und Einkaufszentren, denn es reicht ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit, und die Kleinen sind verschwunden.
Mit Kindern in Ruhe einkaufen? „Unmöglich“, werden erfahrene Eltern sagen. Die großen Warenhäuser bieten enttäuschend wenig. Einige zaghafte Ansätze aber lassen hoffen. Im Kaufhof am Alexanderplatz werden in der Spielzeugabteilung Zeichentrickfilme gezeigt, so daß man wenigstens kurze Zeit in Ruhe seine Besorgungen machen kann.
Im Bekleidungshaus Leffers in der Neuköllner Karl-Marx-Straße gibt es eine Rarität: einen Babywickelraum und eine Kindertoilette. Zudem sorgt ein Karussell für Abwechslung. Besonders gelobt werden dort vor allem die breiten Gänge, durch die man bequem den Kinderwagen schieben kann.
Ein Friseurbesuch ist fällig, und niemand hat Zeit, den Sprößling zu hüten? Im Kalamistra in der Lilienthalstraße können sich die Kleinen an einem Kindertisch mit Spielen und Malen beschäftigen, während sich die Eltern den Kopf waschen lassen. Auch wenn dann der Bewegungsdrang einsetzt und die Neugier zur Erforschung der Räumlichkeiten treibt – im Kalamistra ist das kein Problem.
Kleine Läden kindgerecht zu gestalten ist schwierig – zugegeben. Aber es geht auch ohne großen Aufwand, wie der Buchladen Ringelnatz in der Zossener Straße zeigt. Dort verschwindet so manches Kind unterm Tisch oder in der Fensterecke, je nachdem, wo gerade die beiden Kisten mit Autos, Bauklötzen und Bilderbüchern stehen.
Zwei Möbelhäuser erfüllen allerdings den Traum aller einkaufenden Eltern – sie bieten Spielbereiche mit Betreuung. Das eine ist Höffner in der Pankstraße und das andere Ikea in der Ruhlebener Straße und in Waltersdorf. Während die Eltern den Ausstellungsräumen zustreben, zieht es die Sprößlinge in den Spielbereich, dessen Hauptattraktion ein riesiges Becken voll bunter Bälle ist, in dem sie sich tummeln können. Den älteren Kindern steht ein richtiges kleines Kino zur Verfügung, aus dem man sie anschließend nur schwer wieder weglocken kann. Erst mit Hilfe der Ankündigung: „Komm, wir gehen noch ins Restaurant“, schafft man es endlich. Auch dort wird Kinderfreundlichkeit großgeschrieben: kindgerechtes Essen, Spielecke, Baby-Wickelraum, Hochstühle – alles, was der Eltern Herz begehrt. Gut – Gourmets kommen hier nicht unbedingt auf ihre Kosten, aber angesichts eines weitgehend streßfreien Mahls läßt sich dieser Mangel leicht verschmerzen.
Essen gehen mit Kindern ist überhaupt ein „Vergnügen“, auf das viele Eltern lieber verzichten. Der Tatendrang und die Lautstärke der Kleinen ist häufig nur schwer mit dem Ruhebedürfnis der anderen Gäste vereinbar, und der Vorwurf der schlecht erzogenen Kinder hängt, wenn auch oft unausgesprochen, im Raum.
Viel entspannter ist dagegen die Atmosphäre im Charlottchen in der Droysenstraße. Ein ganzer Raum mit Klettergerüst in Form einer Ritterburg und anderen Spielgeräten steht ihnen dort zur Verfügung. Toben ist erwünscht.
Das Essen ist ausgezeichnet und der Kellner inmitten des Gewusels nervenstark. Die Betreiber des Lokals haben an alles gedacht: kleine Schemel vor den Waschbecken, damit die Kleinen an den Wasserhahn heranreichen; und muß man mal den Wickelraum aufsuchen und hat, o Schreck, die Windel vergessen – am Tresen ist sie für eine Mark erhältlich.
Ungewöhnlich kinderfreundlich ist auch das Mövenpick im Europacenter. Schon beim Betreten des Lokals im 1. Obergeschoß lockt eine Spielecke mit Rutsche, Wippe, Riesenbausteinen und Spielhaus die Kleinen. Das Mövenpick bietet aber noch mehr: einen Nichtraucherbereich, in dem auch am häufigsten die Hochstühle zu finden sind, Buntstifte und Malbuch, die auf Wunsch gebracht werden, und kleine „Rührtierchen“ im Trinkglas. Die Eltern dagegen erfreut eher, daß ein Getränk für alle Kinder und das Essen zusätzlich für Kinder bis zur Größe von 1,10 Meter umsonst sind. Ein wichtiger Aspekt, denn es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Eltern, die sich einen Restaurantbesuch mit der ganzen Familie nicht mehr leisten können. Das Portemonnaie läßt höchstens noch einen „Big Mäc“ zu, den Eingeweihte bei McDonald's am Hermannplatz einnehmen. Kritische Eltern sind nicht gerade begeistert, aber die Kinder legen andere Maßstäbe an – ein richtiges kleines Spielzimmer ist ihnen wichtiger als gepflegte Eßkultur. Nicht so strapaziös für den Geldbeutel ist auch ein Aufenthalt im Café. Während sie zum Beispiel im Eiscafé Mintin in der Grimm- Ecke Böckhstraße die Kleinen in der Spielecke beschäftigen, können sich die Eltern an einer Pinnwand über aktuelle Angebote im Kiez informieren: „Kila Nervensägen hat einen Platz frei“, „Suche Babysitter für meine kleine Laura-Lotte“.
Zum Thema „Kinder in Berlin“ erschien am Samstag, den 1. Juni, ein Beitrag von Christa Boll
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