Spannende Ruine: Saddams letzte Botschaft

Vor 20 Jahren verließ der Irak seine Botschaft in Pankow. Seitdem wird das Gebäude nicht genutzt. Geblieben sind Dokumente, Möbel und arabische Schreibmaschinen, die jede Menge Neugierige anlocken.

Saß Saddam da mal drauf? Verlassener Sessel in der Botschaft Bild: Simonengel/CreativeCommons BY 2.0

Es knackt im Unterholz, hinter dem moosbewachsenen Bürostuhl scheint sich etwas zu bewegen. Ein junger Mann tritt zwischen den Bäumen hervor, steigt über Bierflaschen, stolpert fast über eine Schreibmaschine - und stockt. Heimlich hat er sich herangepirscht an das Gebäude der ehemaligen Botschaft des Iraks in Pankow. Er hat einen Zaun überstiegen, sich durchs Unterholz geschlagen, extra das Handy ausgestellt, um nicht aufzufallen, wie er sich heimlich Zutritt verschafft. Jetzt erreicht er endlich den verwunschenen Bau - und dort stehen schon fünf Menschen weithin sichtbar auf dem Balkon und winken: "Geh doch vorne rum, da ist offen."

Seit 20 Jahren steht das Gebäude im einstigen Botschaftsviertel der DDR in der Pankower Tschaikowskystraße leer. Als Botschaft wird es nicht mehr gebraucht, weil der Irak mit der Wende zunächst nur noch eine diplomatische Vertretung in Bonn betrieb und in Berlin später nach Zehlendorf zog.

Doch verkauft oder abgerissen wurde der Bau nie. Denn die rechtliche Situation ist so kompliziert wie manche diplomatische Beziehung. "Eigentümerin des Grundstücks ist die Bundesrepublik Deutschland. Das sich darauf befindende Gebäude gehört der Republik Irak", sagt Olga Rüffer, Sprecherin der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Im Grundbuch sei für den Irak ein unbefristetes Nutzungsrecht für das Gelände eingetragen, für das das Land keine Miete zahlen müsse. "Ein Restitutionsantrag wurde im Jahre 2003 abgelehnt." Was das weitere Schicksal der ehemaligen Botschaft angehe, sei das Auswärtige Amt im Gespräch mit den Irakern, so Rüffer.

Bis dahin bleibt der Bau ein beliebtes, wenn auch nicht ganz legales Ausflugsziel. "Ich finde es aufregend, dieses einst abgeschirmte Gebäude erkunden zu können", meint ein Politikwissenschaftler, der auf seinem Motorradausflug kurz Station in Pankow macht. Wie alle Besucher der Botschaft an diesem Nachmittag will er lieber nicht seinen Namen nennen, schließlich begeht er gerade Hausfriedensbruch. Dafür erhält er den Kick des Verbotenen und ein paar Fotomotive. "Und ich hoffe natürlich, spannende Relikte aus der Botschaftszeit zu entdecken."

Denn die Iraker haben bei ihrem Auszug offenbar alles zurückgelassen: Schreibtische und Aktenschränke, Schreibmaschinen mit arabischer Tastatur und Matritzendrucker, Fernseher und Notbetten, auch Dokumente und Broschüren. In den meisten Büroräumen, die sich auf drei Etagen immer noch als solche erkennen lassen, ist der Boden übersät mit Papieren und Aktenordnern. In einigen Zimmern hat sich daraus in Kombination mit Regenwasser und dem Inhalt alter Feuerlöscher ein Brei gebildet. Wo die Fenster noch intakt sind, kann man Broschüren mit Saddam-Hussein-Bild auf dem Cover oder Rechnungsbelege lesen - wie den über drei Aktenvernichter im Wert von je 1.667 Mark, ausgestellt im März 1980 von einem Händler für Bürobedarf in der Friedrichstraße.

Zwei junge Schweizer fotografieren, was von dem Mosaik aus grünen und schwarzen Steinchen im Treppenhaus übrig geblieben ist. "Man müsste nur Arabisch können, um auch zu verstehen, was das für Unterlagen sind, die hier herumliegen", sagt der eine. Warum das Gebäude komplett möbliert verlassen wurde, ist unklar. Die irakische Botschaft reagiert nicht auf E-Mail-Anfragen, ans Telefon bekommt man höchstens den Anrufbeantworter, der in fünf Sprachen mitteilt, dass man außerhalb der Geschäftszeiten anruft. Dafür bestätigt das Auswärtige Amt, dass der Sachverhalt bekannt sei und man die Iraker darauf hingewiesen habe, dass sie für die Sicherheit auf dem Gelände verantwortlich seien. Mehr könne man nicht tun, so ein Sprecher.

Manche Besucher der ehemaligen irakischen Vertretung sind offenbar öfter in Ruinen unterwegs und wissen mehr. "Die Straße runter steht noch das Gästehaus zur Botschaft", sagt der Motorradfahrer. "Das ist genau so ein Flachdachbau wie hier, aber es ist nicht so spannend, weil die Räume komplett leer sind." Auch die Schweizer haben noch weitere Insider-Tipps: "Das ehemalige Olympische Dorf soll sich lohnen, da wollen wir am nächsten Wochenende hin." Der Spreepark sei natürlich auch immer einen Einbruch wert. "Seitdem dort offizielle Touren angeboten werden, wird man aber ständig erwischt", meint ein weiterer Besucher. Es klingt, als ob sich Schwimmbegeisterte über die schönsten Badeseen austauschen - dabei gehört keines der Gelände zum öffentlichen Raum, das Betreten ist illegal.

Im Fall der Botschaft wird einem der Einstieg durch das Fehlen eines Sicherheitsdienstes und eine offene Gartenpforte erleichtert. Außerdem hält sich das Gerücht, das Grundstück genösse weiterhin Immunität und gelte als exterritoriales Gebiet, was auch vom Sprecher des Auswärtigen Amts bestätigt wird.

Bei der Polizei heißt es dagegen, der diplomatische Status sei aufgehoben. "Die Polizei darf das Grundstück betreten, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen", sagt Sprecherin Claudia Schwaiger. In vereinzelten Fällen sei man auch schon wegen Sachbeschädigung oder dem Diebstahl von Buntmetall tätig geworden. "Illegale Partys wurden bisher nicht festgestellt, Beschwerden von Anwohnern sind nicht bekannt." Videos bei YouTube, die zeigen, wie junge Leute auf einer der Terrassen tanzen, beweisen das Gegenteil.

Doch das Gelände um die Botschaft ist groß, bewachsen und wirkt wie ein kleiner Wald. Um die Aufmerksamkeit der Nachbarn zu erregen, muss man sehr laut sein, und das sind die Ruinentouristen eben nicht: Sie machen nichts kaputt, nehmen keine Souvenirs mit, und auch Graffiti sucht man - mit einer Ausnahme - vergeblich.

Wie lange dieses kleine, historisch wertvolle Idyll noch erhalten bleibt, ist fraglich. Die Bausubstanz zerfällt, in einem Teil des Hauses hat es gebrannt, es scheint nur eine Frage der Zeit, bis jemand durch eine Decke bricht oder eines der morschen Balkongeländer versagt. Der Bezirk habe Interesse an einer baldigen Klärung der Situation, sagt Pankows Bezirksstadtrat Michail Nelken (Die Linke), der für die Stadtentwicklung in Pankow zuständig ist. Denn eine derartige Ruine habe eben immer auch negative Auswirkungen auf ihr Umfeld. "Direkte Einflussmöglichkeiten haben aber auch wir nicht.

Wie es mit dem Grundstück weitergeht, können letztendlich nur die Iraker entscheiden. Von ihrem Anrufbeantworter abgesehen, bleiben die aber stumm.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.