piwik no script img

Spanische Exklaven in MarokkoEin heißer Zaun

Immer wieder versuchen Menschen die Grenzanlagen in Ceuta und Melilla zu überwinden. Spanische Behörden schieben sie rechtswidrig unmittelbar ab.

Am Grenzzaun in Ceuta versuchen immer wieder Menschen, das Gebiet der EU zu erreichen Foto: dpa

„Hier finanziert die EU mit den Geldern aus dem Regionalfond eine Umgehungsstraße“, stand 1995 groß aus den Schildern am Rande der Bauarbeiten in den Bergen nahe der spanischen Exklave Ceuta zu lesen. Doch die neue Straße dient allem anderen als der Verkehrsberuhigung. Sie läuft direkt an der Grenze zu Marokko entlang und war von Anfang an für die Grenzer der spanischen Guardia Civil gedacht.

Wo einst einfache spanische Reiter und eine ausgerollter Stacheldraht den Grenzverlauf markierte, steht heute eine der aufwendigsten Grenzanlagen weltweit. Acht Kilometer ist der Grenzzaun lang. Die zweite Exklave Spaniens an der nordafrikanischen Küste, die Stadt Melilla, ist ebenso gesichert. Hier sind es zwölf Kilometer.

Seit 1995 wurde die Grenze in Ceuta und Melilla nach und nach ausgebaut. Heute sind es insgesamt drei Zäune. Die beiden äußeren sind sechs Meter hoch. Der erste ist leicht Richtung Marokko geneigt, mit drei tonnenförmigen Rollen aus messerscharfen Natodraht versehen. Am oberen Ende des Zaunes befindet sich ein mehr als ein Meter hohes Element, das nachgibt und in Richtung der Person klappt, die versucht sich daran hochzuziehen. All das soll das Besteigen erschweren.

Wer es dennoch schafft, den ersten Zaun zu überwinden, landet in einem Gewirr aus Stahlseilen, die die nächsten Meter zu einem kleineren Zaun so gut wie unpassierbar machen. Doch auch hier kommen immer wieder Flüchtlinge durch. Danach kommt eine Gasse, auf der die Grenzschützer patrouillieren. Sensoren und Kameras haben die Guardia Civil längst auf die Eindringlinge aufmerksam gemacht. Im Scheinwerferlicht machen sie Jagd auf Geflüchtete, die den dritten und letzten Zaun besteigen. Überwinden sie auch den, sind sie endlich auf der spanischen Seite und damit auf der EU-finanzierten „Umgehungsstraße“ – meist mit schweren Schnittwunden übersät. Knochenbrüche sind an der Tagesordnung. Und mindestens ein Mensch verblutete gar nachdem er sich im Natodraht verfangen hatte.

Der spanische Zaunbauer European Security Fencing (ESF), zählt zu den weltweit führenden Nato-Draht-Herstellern. ESF erprobt an den Zäunen von Ceuta und Melilla, seinen tödlichen Draht, der mühelos menschliche Sehnen durchtrennt. Mittlerweile verkauft ESF auch an andere Staaten mit EU-Außengrenze: Griechenland, Ungarn und die Türkei.

Heiße Abschiebungen

Endlich in Spanien – so manchem nutzt das nichts. Denn seit Jahren wenden die Grenzer die sogenannte „heiße Abschiebung“ an. Wen sie am Zaun aufgreifen, bringen sie unter Gewalt zu Türen im Zaun und übergeben die Aufgegriffenen der marokkanischen Gendarmerie. Prügel, Verhaftung und Verbringung an die Grenze im Süden des Landes mitten in der Wüste sind ihnen dann gewiss. Das betrifft meist diejenigen, die irgendwo zwischen erstem und drittem Zaun festgehalten werden. Doch selbst Personen, die die komplette Anlage überwinden konnten, oder ganz einfach am regulären Grenzübergang die Polizisten überrannten, oder schwimmend nach Ceuta oder Melilla gelangten, werden oft sofort wieder zurückverfrachtet.

taz-Rechercheprojekt

Vor „dramatischer“ Migration aus Afrika warnt die deutsche Regierung, von einem „Marshallplan“ ist die Rede. Doch die Milliardensummen, die Europa in Afrika ausgeben will, dienen nicht nur dem Kampf gegen Armut. Erklärtes Ziel der neuen EU-Afrikapolitik ist es, Flüchtlinge und Migranten schon tief im Innern des Kontintents aufzuhalten. Die taz berichtet seit Mitte November in einem Rechercheschwerpunkt darüber, zu finden unter taz.de/migcontrol.

Die Recherche wurde gefördert von Fleiß und Mut e. V. (cja)

NGOs konnten gar dokumentieren, wie marokkanische Gendarmen zwischen den Zäunen, also auf spanischem Gebiet, agieren. „Erst wer alle Grenzzäune überwunden hat, ist in Spanien“, heißt es von Seiten der spanischen Behörden. Und der Vertreter des Innenministeriums in Melilla, Abdelmalik El Barkani, gab nach Veröffentlichung der Videoaufnahmen gar zu, dass die Anwesenheit von marokkanischen Soldaten zwischen beiden Zäunen nichts Ungewöhnliches sei. „Das ist Teil einer immer engeren Zusammenarbeit mit einem Land, das den Status eines privilegierten Partners der Europäischen Union geniest“, erklärt er. “Es gab keine illegalen Abschiebungen“, fügt el Barkani hinzu, denn die Betroffenen hätten nicht die gesamte Grenzanlage überwunden.

Legalisierter Rechtsbruch

„Entweder man ist in Marokko oder in Spanien“, hält Francisco Solans dagegen. Für den Sprecher der spanischen Anwaltsvereine für Fragen des Ausländerrechts ist klar: „Wer den ersten Zaun überwunden hat, ist in Spanien.“ Es gebe kein Niemandsland zwischen den Zäunen. Ein Blick auf die Karte genügt. Die komplette Grenzanlage liegt auf spanischem Gebiet.

Nach heftigen Protesten von Anwaltsvereinen, Flüchtlingshilfsorganisationen und Menschenrechtlern gegen die „heißen Abschiebung“, beendete die konservative Regierung unter Marinano Rajoy diesees Vorgehen nicht etwa, sondern erließ im Sommer 2015 ein Gesetz, das dieses Vorgehen legalisierte.

„Das ist ein Verstoß gegen grundlegende internationales Recht und gegen die Menschenrechte“, erklärt der UN-Berichterstatter für Menschenrechte und Migration, François Crépeau gegenüber der spanischen Presse. Laut einem Gutachten von 16 spanischen Juraprofessoren verstößt das Gesetz gegen zwölf internationale Normen. Unter anderem dürfen Migranten – so sieht es die EU und die UNO vor – nur nach richterlichem Beschluss abgeschoben werden. Außerdem muss ihnen die Möglichkeit gegeben werden, einen Asylantrag zu stellen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!