piwik no script img

Spätes Staatsbegräbnis für Allende

■ Siebzehn Jahre nach seiner Ermordung wurde der chilenische Präsident in einem Ehrengrab beigesetzt / Hunderttausende säumten die Straßen / Aylwin verklagt hohen Militär

Santiago de Chile (afp/dpa/ips) - In seiner letzten Botschaft an die Chilenen hatte Salvador Allende vorausgesagt, schon bald würden sich „die großen Alleen öffnen, durch die der freie Mensch gehen wird, um eine bessere Gesellschaft aufzubauen“. Wenig später wurde der sozialistische Präsident bei der Bombardierung des Regierungssitzes durch Pinochets putschende Militärs ermordet.

Dienstag, knapp siebzehn Jahre später, öffnete sich nun die ehemalige „Alameda de las Delicias“ (Allee der Wonnen) Hunderttausenden von Trauernden. Als der Holzsarg mit den sterblichen Überresten des ehemaligen chilenischen Präsidenten auf den Vorplatz der Kathedrale von Santiago getragen wurde, rief die Menge: „Allende lebt !“ Mit hochgereckter Faust und mit Tränen in den Augen erwiesen sie Allende die letzte Ehre.

„Wir berichtigen hier einen seit langer Zeit verfolgten, ungerechten Irrtum: die Verweigerung der Ehre, die die menschliche Gemeinschaft ihren Toten zuteil werden läßt, vor allem dann, wenn diese sich in ihrem irdischen Dasein aus der Masse ihrer Mitbürger herausgehoben haben“, sagte Präsident Aylwin bei der Trauerfeier. Die gesamte chilenische Regierung und 80 ausländische Ehrengäste darunter SPD-Ehrenvorsitzender Willy Brandt, Frankreichs Premierminister Rocard, Danielle Mitterrand und die Witwe des ermordeten Olof Palme - hatten zuvor in der Kathedrale von Santiago eine Totenmesse besucht.

Allende fand seine letzte Ruhestätte in einem riesigen Marmor-Mausoleum. Am frühen Morgen waren seine sterblichen Reste auf dem Friedhof Santa Ines in der 120 Kilometer entfernten Hafenstadt Valparaiso aus einem Familiengrab exhumiert worden.

Im Laufe des Vormittags waren in Santiago mehrere Bomben explodiert, wobei Sachschaden entstand. Die Anschläge wurden nach Angaben der Polizei von einer rechtsextremen Gruppe verübt. Parteien der rechten Opposition und Militärs hatten in den letzten Tagen heftige Kritik an der Ehrung Allendes geübt. Das Ehrenbegräbnis sei „eine groteske Verzerrung unserer politischen Realität“, wetterte der pensionierte General Santiago Sinclair. Der frühere Generalstabschef Medina wertete die Teilnahme Aylwins am Begräbnis als „absolute Heuchelei“. Die Regierung reagierte mit einer Klage wegen Präsidentenbeleidigung - ein Vergehen, auf das in Chile mindestens 18 Monate Gefängnis stehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen