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Soziologin über Krise der Ökobranche"Bio ist zu normal geworden"

Biolebensmittel zu kaufen bringe keinen Distinktionsgewinn mehr, meint die Soziologin Eva Barlösius. Deshalb brauche die Branche neue Herausforderungen.

"Es schaut keiner mehr, wenn man Bio im Einkaufswagen hat": Mädchen kauft Bio-Bananen. Bild: dpa
Interview von Anna Mauersberger

taz: Frau Barlösius, die Ausgaben für Bioprodukte in Deutschland sind dieses Jahr zum ersten Mal gesunken. Es wird über eine gewisse "Biomüdigkeit" diskutiert. Warum scheint Bio nicht mehr so hip zu sein wie früher ?

Eva Barlösius: Wenn wir die ökonomische Begründung einfach mal ausschließen, dann könnte Bio inzwischen zu "normal" geworden sein. Es eignet sich nicht mehr zur sozialen Distanzierung: Es schaut keiner mehr, wenn man Bio im Einkaufswagen hat.

Eva Barlösius...

... 49, ist Professorin für Soziologie an der Universität Hannover. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Soziologie der sozialen Ungleichheit und die Agrarsoziologie.

Wer kaufte bisher Bio? Und wer verzichtet heute darauf?

Letztlich ist Bio vielleicht ein Generationenthema oder eine Frage von Lebensphasen. Bei den jüngeren Generationen greift das sozialstrukturelle Distinktionsmerkmal Bio nicht, weil sie damit aufgewachsen sind. Die Bio-Generation aus den 70er-Jahren dagegen verbindet mit Bio vor allem die Kritik an den konventionellen Produktionsweisen. Selbst in der Partei der Grünen ist dieser Kohorteneffekt zu beobachten: Die Jüngeren unter den Grünen sind längst nicht mehr alle öko.

Geht es beim Essen um mehr als nur ums Essen?

Natürlich. Essen ist Identität, und zwar in alle Richtungen. Also sozialstrukturell gesehen, generativ, Lebensphasen bedingt, geschlechterspezifisch.

Muss Bio teuer sein?

Gut möglich. Der Mechanismus, der da greift, ist die asketisch-protestantische Fähigkeit zur Selbstkontrolle. Also: Man ist bereit, auf etwas zu verzichten, um gut zu essen.

Wie kann Bio wieder mehr wahrgenommen werden?

Es braucht eine neue Herausforderung, und zwar gesellschaftlicher Art. Letztlich lässt sich jeder Geburtsakt einer neuen Gesellschaftsordnung mit dem zentralen Lebensthema Essen in Verbindung bringen. Im 19. Jahrhundert ging aus der Industrialisierung der Vegetarismus hervor, das waren damals vor allem Männer. In den 70er-Jahren war das Motto "Return to Nature", das vor allem von Frauen vorangetrieben wurde. Jede Lebensphase massiver sozialstruktureller und gesellschaftlicher Umbrüche bringt eine neue Wertung des Essens mit sich, so wie jede Religion ihre eigene Auslegung davon hat, was sogenanntes reines oder unreines Essen ist.

Was könnte auf Bio folgen?

Ich bin eigentlich sicher, dass es nicht zu einem Verlust des Bio-Gedankens kommen wird, sondern lediglich zu einer Neufassung. Seit der Antike ist die Metapher des Natürlichen immer wieder neu definiert worden. Wie diese Neufassung aussehen könnte, was also auf Bio folgen wird, das weiß ich nicht.

Sind Sie Bio?

Was heißt das schon? Ich lege auf exzellentes Essen wert, egal woher es kommt.

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7 Kommentare

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  • MD
    Michel D

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    Mitte der 80er Jahre hatte ich ein Naturkostgeschäft. Und immer gab es Diskussionen weil ich keine Bio-Tomaten aus beheizte Gewächshäuser kaufen wollte, oder Bio-Erdbeeren aus Süd-Frankreich, etc. Heut zu Tage finde ich Trockenbohnen aus China,etc. Im Naturkostladen guckt man mich komisch an weil ich Brot ohne Tüte will.

    Offensichtlich bezieht Bio sich nur auf das verkaufte Endprodukt. Auch wenn es mittels Sklaverei entstanden ist.

  • WB
    Wolfgang Böhm

    Früher - ja früher - da wurden statements a la Frau Barlösius als Vulgärsoziologie gebrandmarkt! Leider nur Halbwissen aus dem veröffentlichten Dienst an einem Fach, dass weit mehr zu bieten hätte...

    die vorstehenden Kommentare sind ja durch die bank reflektierter, als die Erkenntnisse der Fachfrau!

  • A
    Anonym

    Warum wurde das Interview zu dem Thema mit dieser Gespächspartnerin geführt? Was sollte der Gewinn dieser Unterhaltung sein? Es erschließt sich mir leider in keiner Weise.

    Um zu ergründen, was nach Bio kommen sollte oder wird oder was die Biobranche tun könnte, um nicht verdrängt zu werden, böte sich sicher eine Vielzahl anderer InterviewpartnerInnen an, die zu kompetenteren Aussagen in der Lage sein dürften als "Hauptsache, es schmeckt"!!!

    Eine riesige Enttäuschung! Erfreulicher wäre es doch gewesen, lesen zu dürfen, welche Maßnahmen Bio wieder den nötigen Wind unter die Segel treiben könnten, um - gerade in Zeiten des Klimawandels, der Wirtschaftskrise und der hohen Arbeitslosenzahlen - als zukunftsweisende Branche zu bestehen!

  • S
    Sunstreet

    Genau das wollte die Politik und die Lobbyisten doch mit den EU-Bio-Richtlinien erreichen.

    Mit diesem "Bio"-Label darf sich doch fast jeder Hersteller schmücken - und dann stellt man fest, wissenschaftlich natürlich, dass es so gut wie keine Unterschiede zwischen biologisch und konventionell hergestellten Lebensmitteln gibt. Wo soll der bei diesen Praktiken auch herkommen.

  • KH
    Klaus Hoffmeister

    BIO kann überhaupt nicht normal genug werden!!! Egal ob Menschen, Tiere oder Pflanzen ausgebeutet werden, wenn wir unseren Planeten langfristig erhalten wollen, müssen wir so schnell wie möglich mit jeglicher Ausbeutung aufhören. Davon sind wir noch meilenweit entfernt. Und dass eine Frau und Soziologin dafür heute immer noch keine Antenne hat, ist für mich einfach unbegreiflich.

  • M
    Michel

    @Kai: Die Kaltschnäuzigkeit der Soziologin hat mich auch sehr befremdet. Wie so viele andere hat sie womöglich noch gar nicht alle Bio-Bewußtseinsinhalte gecheckt, schon gar nicht die tierschützerischen. Da waren die vegetarischen Männer des 19. Jahrhunderts, die sie erwähnt, schon sehr viel offener und bewußter als Millionen von vermeintlichen Bio-Hausfrauen, die sich heute immer noch keine "großen" Gedanken machen wollen.

    Die Taz könnte dieser letzten großen Erkenntnisverweigerung der Bio-Szene entgegenwirken, in dem sie sich des Themas Ethik im Umgang mit Tieren gründlicher und gedanklich breiter als bislang geschehen annähme.

  • K
    Kai (Amsterdam)

    Das letzte Antwort... 'Egal wo es herkommt...' Schrecklich, das ein Mensch Bio untersucht, und alle Informationen unter Augen bekommt über das Tierleid in die herkommlichen Tierbetrieben. Und dann so ein Antwort gibt. 'Egal wo es herkommt'.

     

    Also 'wenns nur schmeckt'? Psychopatisch.

     

    Das wichtigste um für Bio zu wählen ist doch ein Gutes Leben für Allen. Verzichten auf Tierleid, auf Gesundheidschäde für Uns und die Planet. Aber diese Sociologe versteht das noch immer nicht!