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Soziologen: DDRler unangepaßt

■ DDR-Bürger werden sich nicht einfach anpassen und verkrümeln/ Ost-Frauen keine Lust auf Hausfrauenexistenz/ SED wider Erwarten gut informiert/ Partei ignorierte Geheimstudien

Bonn (ap/dpa) — Ernsthafte Konflikte zwischen ehemals Ost- und Westdeutschen sehen Soziologen für die nächsten Jahre voraus. „16 Millionen DDR-Bürger werden sich nicht einfach anpassen und kleinlaut verkrümeln, wie es die wenigen Übersiedler getan haben“, sagte der Wuppertaler Soziologie-Professor Volker Ronge am Dienstag abend nach einem Expertentreffen in Bonn. Zwischen den Menschen in beiden Teilen Deutschlands bestünden schwer überwindbare Unterschiede. Weltanschauung, Mentalität und Eigeninitiative sind laut Ronge durch 40 Jahre DDR-Erziehung ganz anders ausgeprägt als im Westen.

Zentrale wirtschaftliche Probleme wie die „Verschiebung“ der Arbeitskräfte aus dem gewerblichen in den Dienstleistungssektor würden sich deshalb so schnell nicht lösen lassen. Auch Günter Kapelle vom Ostberliner Umfrageinstitut USUMA erwartet ernste Schwierigkeiten beim Übergang zur Marktwirtschaft.

Umfragen seines Instituts hätten ergeben, daß nicht einmal fünf Prozent der DDR-Arbeitsbevölkerung zur Mobilität bereit seien. Von 1.000 befragten Betriebsdirektoren könnten auch in Zukunft höchstens zehn Prozent für die Marktwirtschaft „tauglich“ werden, berichtete er. Kapelle, wie auch die frühere DDR- Soziologin Uta Meier, erwartet nach einer Übergangszeit ein „Aufbegehren“.

Frau Meier, die seit einem Jahr am Deutschen Jugendinstitut in München arbeitet, sagte: „Die DDR- Frauen werden sich auf die Hausfrauenexistenz nicht einlassen.“

Die ehemalige politische Führung der DDR war offensichtlich genauer über Wünsche, Bedürfnisse, Meinungen und Stimmungen der Bevölkerung informiert als bisher bekannt war. Sie hat diese Erkenntnisse ganz bewußt ignoriert und entsprechende sozialwissenschaftliche Erkenntnisse in Panzerschränke eingeschlossen, ohne entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Diesen Schluß hat der Bonner Soziologie-Professor Heinrich Best aus einer ersten Sichtung bisher geheimgehaltener Studien aus der DDR gezogen.

Vor dem Hintergrund erschütternder Bilder und Berichte über Umweltzerstörungen in der DDR nannte Best als besonders eindrucksvolles Beispiel für die Ignoranz der früheren DDR-Führung ein Ergebnis einer 1988 durchgeführten Geheimumfrage, bei der auch nach den wichtigsten Bedürfnissen der DDR- Bürger gefragt worden sei.

Dabei habe der Wunsch, „in einer sauberen und intakten Umwelt zu leben“, an zweiter Stelle rangiert, gleich nach dem Bedürfnis, „in Frieden zu leben“. Für 98,1 Prozent der Befragten sei eine gute Umweltqualität sehr wichtig oder wichtig gewesen. 75,3 Prozent der Berufstätigen hätten eine Verbesserung der Umweltsituation für dringend erforderlich gehalten.

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